Was ein niedriger Ölpreis so alles anrichten kann

Steigende Länderrisiken


Steigende Länderrisiken: Was ein niedriger Ölpreis so alles anrichten kann Kolumne

Jeder redet darüber, was der niedrige Ölpreis für Wachstum, Konjunktur und Inflation bedeutet. Das ist zweifellos für viele Fragestellungen bedeutsam. Daneben gibt es aber noch eine Reihe von wichtigen strukturellen Auswirkungen, die man nicht übersehen sollte. Ich habe dazu schon einmal über das generelle Problem geschrieben. Einigen Lesern war das zu allgemein. Hier jetzt ein paar konkrete Beispiele, was passieren könnte.

Eines hat der amerikanische Journalist Tom Friedman vor einiger Zeit in der New York Times beschrieben. Er erinnerte daran, wie in den 90er Jahren als Folge der damals sehr niedrigen Ölpreise die alte Sowjetunion auseinanderbrach und Platz machte für eine grundlegende Neuordnung des europäisch-asiatischen Kontinents. 1997 wurde in Iran ein Vertreter des Reformflügels zum Präsidenten gewählt (Chatamis), der das Land für die internationale Staatengemeinschaft öffnete. 1999 gab es die historische Annäherung der Palästinenser an Israel unter Jassir Arafat. 2000 marschierten die Iraker im Nachbarstaat Kuwait ein. Sie lösten damit kriegerische Auseinandersetzungen aus, die bis heute nicht zu Ende sind. All dies beruhte natürlich nicht nur auf dem niedrigen Ölpreis. Ohne Zweifel aber war eine der Ursachen, dass die Ölförderländer unter erheblichen finanziellen Druck geraten waren und dass dies ihre Politik beeinflusste. Je länger es anhielt umso mehr.

Wenn der Ölpreis jetzt so niedrig bleiben sollte, muss man mit ähnlichen Reaktionen rechnen. Die Länderrisiken steigen. Einzelne Staaten können in Schwierigkeiten kommen, wie das jetzt in Venezuela, Nigeria oder Aserbaidschan erkennbar ist. Es kann innenpolitische Verwerfungen geben. Das saudische Königshaus macht große Anstrengungen, um trotz weniger Geld das Wohlwollen seiner Bürger zu erhalten.

Bestehende Bündnisse zwischen einzelnen Staaten können in Frage gestellt, neue Bündnisse geschlossen werden. Die Entspannung zwischen den USA und Iran im Atomstreit hat sicher auch etwas mit dem Ölpreis zu tun. Ebenso die überraschenden ersten Zeichen einer Annäherung zwischen Russland und den Vereinigten Staaten in der Syrien-Frage. Das könnte sich auch positiv auf andere Regionen auswirken (wie die Ukraine). Mit etwas Phantasie kann man sich noch viele andere politische Entwicklungen vorstellen.

Die Schwankungen des Ölpreises [WTI, US-Dollar je Barrel, logarithmischer Maßstab, Quelle: Fred]

Die Schwankungen des Ölpreises [WTI, US-Dollar je Barrel, logarithmischer Maßstab, Quelle: Fred]

Wenn man sich die langfristige Bewegung des Ölpreises anschaut, fällt noch etwas anderes auf. In den letzten vierzig Jahren gab es drei Tiefpunkte des Preises (siehe Grafik): 1985/86, 1998/99 und 2007/08. In all diesen Jahren ist der Ölpreis zunächst stark gefallen und hat dann wieder zu einer Erholung angesetzt. Was war das gemeinsame an diesen Zeiten? Interessanterweise waren es alles Jahre von Finanzkrisen. 1985/86 gab es eine Währungskrise mit großen Schwankungen der Wechselkurse. Sie führten zuerst zum Plaza- und dann zum Louvre-Abkommen, mit denen die Währungsverhältnisse nur unter großen Anstrengungen wieder beruhigt werden konnten. 1998/99 gab es die Asien- und die Russlandkrise. Sie waren mit erheblichen Friktionen und Spannungen auf den Finanzmärkten verbunden. 2007/08 schließlich ereignete sich die amerikanische Subprime-Krise mit dem Zusammenbruch der Lehman Bank, die bis heute noch nicht überall voll überwunden ist.

Auch bei diesen Krisen spielte vieles eine Rolle. Zum Teil hat der Ölpreis die Krisen nicht verursacht, sondern ist umgekehrt von ihnen beeinflusst worden. Niemand weiß, wer hier die Henne und wer das Ei war. Andererseits ist es wohl nicht nur Zufall, dass sich der Ölpreis genau zu diesen Zeiten ungewöhnlich bewegte.

Es liegt nahe, auch hier Parallelen zu der gegenwärtigen Situation zu ziehen. Die jahrelangen Nullzinsen, die große Liquidität und die hohen Bewertungen an den Finanzmärkten sind für sich schon eine schwierige Gemengelage. Wenn jetzt noch die niedrigen Ölpreise dazukommen, ist das nicht ungefährlich. Dass hier der eine oder andere Finanzmarktteilnehmer kalte Füße bekommt, ist verständlich.

Schließlich noch ein Beispiel aus einem ganz anderen Gebiet. Einer der größten Erfolge der internationalen Politik war der Pariser Klimagipfel Ende des letzten Jahres. Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte einigten sich 195 Staaten der Weltgemeinschaft auf eine konzertierte Aktion zur Reduzierung der Erderwärmung. Das war ein gigantischer Sieg der internationalen Zusammenarbeit. Er wurde mit Recht gefeiert. Wenn der Ölpreis so niedrig bleibt, könnte alles für die Katz gewesen sein. Bereits jetzt liegen Investitionsprojekte im Energiebereich in Höhe von zig Milliarden wegen der Unsicherheit über die zukünftigen Preise auf Eis.

Was ich hier beschrieben habe, sind Probleme von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die alle tangieren. Worauf es vor allem für Anleger ankommt, sind fünf Dinge:

Erstens: Wenn es zu einer neuen Finanzkrise kommen sollte, gibt es nur ein Rezept: Verkaufen beziehungsweise die Positionen entsprechend absichern und warten bis das Gewitter vorbei ist. Zweitens wird es aber auch Veränderungen geben, gegen die man sich nicht einfach durch eine Umschichtung des Portfolios schützen kann. Dazu sind sie zu umfassend. Man muss die Entwicklungen abwarten und sich ad hoc entsprechend positionieren. Drittens muss nicht alles, was kommt, eine Krise oder überhaupt schlecht sein. Es kann und wird bei solchen Veränderungen immer auch Chancen geben. Viertens zeigt die Grafik, dass die Zyklen häufig lange dauern. Gehen Sie also nicht davon aus, dass der Ölpreis schon in diesem Jahr wieder ein tragfähiges Niveau erreicht. Schließlich fünftens: Auch am Ölmarkt gibt es ein "Mean Reversal". Der Ölpreis geht nicht nur nach unten, sondern wird auf lange Sicht auch wieder steigen. Dann könnten Rohstoffwerte als Investment interessant werden.

Autor: 

Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.

Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.

[ Bildquelle Titelbild: © pakpong pongatichat - Fotolia.com ]
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