Mehr Fakten, weniger Bauchgefühl

Mit Predictive Analytics Risiken analysieren


Mehr Fakten, weniger Bauchgefühl: Mit Predictive Analytics Risiken analysieren Interview

Kenne deine Zielgruppe. Das sollte jedes Unternehmen. Und die Zeiten, wo dies nur für das Marketing galt, sind längst vorbei. Heute, wo Serien wie House of Cards die Massen begeistern, hat das Wissen über Konsumenten und Kunden an Bedeutung gewonnen. Durch Predictive Analytics war Netflix in der Lage, genau die richtige Mischung aus Drama, Witz und Liebe in einer Geschichte zusammenzufassen. Die Daten über das Zuschauerverhalten lagen vor, daraus jedoch die richtigen Schlüsse zu ziehen und diese in der Serien umzusetzen, dafür musste ein neuer Weg beschritten werden.

Die Filmbranche ist nur ein Beispiel dafür, dass es funktioniert. Auch Versicherungen, Banken, Logistik-Unternehmen und Unternehmen vieler anderer Branchen, die sich täglich mit dem Management von Risiken und Chancen auseinandersetzen, sind darauf angewiesen, aus den vorliegenden Daten die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wo verbergen sich potenzielle Chancen? Wo schlummern potenzielle Stressszenarien? Welche Informationen können beispielsweise aus der Analyse von Wetterdaten für einen Versicherer gewonnen werden? Welche Informationen können beispielsweise aus den Kundendaten für eine Bank hinsichtlich des Ausfallrisikos abgeleitet werden? Im Kern geht es bei Predictive Analytics um eine Vorhersage (prediction) der wahrscheinlichen Zukunftspfade und Szenarien. Das zentrale Element von Predictive Analytics ist der Prädiktor. Dies ist eine Variable, die für eine einzelne Person oder Einheit gemessen wird, um zukünftiges Verhalten zu prognostizieren. So ermittelt beispielsweise ein Versicherer potenzielle Prädikatoren für die Fahrsicherheit und damit das Unfallrisiko, indem etwa Alter, Geschlecht sowie Fahrerfahrung einer Person ermittelt werden. Daraus werden in einer Ursache-Wirkungskette das wahrscheinliche Unfallrisiko sowie die Höhe des Beitrags beziehungsweise Selbstbehalts ermittelt. In einem weiteren Schritt können mehrere Prädikatoren zu einem Vorhersagemodell kombiniert werden. Die RiskNET-Redaktion sprach mit Dr. Malte Christian Kaufmann, Senior Director Development & Advanced Analytics, SAP BusinessObjects über den Einsatz von Predictive Analytics im Risikomanagement.

Wo liegt der Unterschied zwischen Data Mining und Predictive Analytics? Sind nicht viele Methoden und Werkzeuge des Data Mining ein wesentlicher Bestandteil von Predictive-Analytics-Lösungen?

Malte Christian Kaufmann: Predictive Analytics und Data Mining werden oft synonym verwendet. Es wird auch oft in unterschiedlichen Zusammenhängen Verschiedenes unter dem Begriff Data Mining zusammengefasst. Ganz allgemein bedeutet Data Mining mittels statistischer und mathematischer Methoden neue Erkenntnisse aus einer großen Datenmenge zu gewinnen.

Predictive Analytics wendet diese Erkenntnisse an, um unbekanntes Verhalten oder Trends vorherzusagen, um darauf basierende Entscheidungen zu treffen. Ein wichtiger Aspekt von Predictive Analytics ist es nicht nur Vorhersagemodelle zu erzeugen, sondern diese auch anzuwenden, Daten aus den Vorhersagen zu erzeugen und diese dann in Geschäftsprozesse einzubinden.

Klassische Data-Mining-Methoden umfassen unter anderem Methoden zum Clustering und Modellierung von Entscheidungsbäumen sowie neuronale Netze. Welche Methoden findet man in der Werkzeugkiste von Predictive Analytics?

Malte Christian Kaufmann: Predictive Analytics verwendet eine Vielzahl von Werkzeugen. Diese umfassen die Beschaffung von strukturierten und unstrukturierten Daten aus einen Vielzahl unterschiedlicher Datenquellen. Dazu gehören klassische Datenbanken, Big Data, Streaming, Soziale Netze. Hinzu kommt die Aufbereitung und Anreicherung dieser Daten, um darauf Algorithmen anwenden zur können, beispielsweise aus den Bereichen Classification, Regression, Clustering, Time Series, Network Analysis. Am Ende kommt es auch nicht auf die Masse der Algorithmen an, sondern auf deren Qualität und Effizienz. Und dann müssen die erstellten Modelle angewandt und in eine Produktionsumgebung eingebunden werden. Die Erstellung eines Predictive-Modells ist kein einmaliger Vorgang. Ihre Ausführung erfolgt meistens regelmäßig auf neu hinzukommenden Daten. Die Qualität muss überwacht und die Modelle gegebenenfalls an geänderte Rahmenbedingungen angepasst werden. Auch das dafür benötigte Life Cycle Management gehört in den Werkzeugkasten von Predictive Analytics.

Seit dem Altertum interessieren sich die Menschen für den Blick in die Zukunft. Sind Predictive-Analytics-Lösungen die Orakel der Gegenwart?

Malte Christian Kaufmann: Predictive Analytics ist ein Tool, welches aus einer Vielzahl von zur Verfügung stehenden Daten die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten zukünftiger Ereignisse berechnet. Natürlich sind diese Vorhersagen nicht hundertprozentig genau, sondern hängen stark von verschiedenen Faktoren ab. Häufig werden schon bei der Auswahl der Daten, auf denen die Vorhersagen beruhen, Annahmen gemacht, die das Ergebnis beeinflussen oder verfälschen können. Je größer und vollständiger die Datenbasis ist, desto besser die Vorhersage. Da in der realen Welt aber nichts in einer in sich abgeschlossenen Umgebung passiert, ist es fast unmöglich alle noch so kleinen Einflüsse zu berücksichtigen. Ferner müssen natürlich ausreichend historische Daten vorhanden sein, um überhaupt Muster und Trends zu erkennen. Außerdem ändert sich normalerweise eine Umgebung im Laufe der Zeit, sodass Modelle immer wieder angepasst werden müssen. Predictive Analytics ist weder Orakel noch Kristallkugel, aber solange die Vorhersagen, bei aller Ungenauigkeit, besser sind als pures Raten, liefert sie großen Wert für ihre Anwender.

Mit Predictive Analytics Risiken früher erkennen: Eine ideale Vorstellung für Risikomanager. Welche Unterstützung kann Predictive Analytics im Risikomanagement bieten?

Malte Christian Kaufmann: Der Einsatz von Predictive Analytics im Risikomanagement ist weit verbreitet und erfreut sich großen Wachstums. Prominentes Beispiel für Predictive Analytics ist Credit Scoring. Alle Banken und Kreditinstitute versuchen die Zahlungsmoral und -fähigkeit von Kunden vorherzusagen. Andere bekannte Anwendungsbereiche von Predictive Analytics im Risiko-Management sind beispielsweise die Erkennung von Betrug.

Im November 2008 stellte Queen Elizabeth II den Ökonomen an der London School of Economics (LSE) eine einfache Frage: "Wie konnte es passieren, dass niemand diese Krise vorhergesehen hat?" Hätte Predictive Analytics frühzeitiger Indikatoren oder Frühwarnsignale für eine vor der Tür stehende Finanzkrise geliefert?

Malte Christian Kaufmann: Predictive Analytics hat großes Potential die Performance von Unternehmen zu verbessern und Risiken für das Geschäft rechtzeitig zu erkennen und Gegenmaßnahmen zu treffen. Dieses liegt gerade in der Finanzwirtschaft nahe, und wir sehen als Konsequenz der letzten Krise auch stark zunehmende Investitionen in Predictive Analytics um Risiken frühzeitig zu erkennen.

Nun reicht es leider nicht aus, einfach nur die richtige Software zu kaufen. Um gute Modelle für die Risikovorhersage zu erstellen, kommt es auf eine gute und umfassende Datenbasis zu habe. Es ist wahrscheinlich schon schwierig genug, alle Daten aus unterschiedlichen Quellen im Unternehmen zusammenzutragen und aufzubereiten. Aber das wird nicht ausreichen. In einer zunehmend vernetzten Welt müssen auch externe Faktoren und Ereignisse, wie beispielsweise Umwelt- oder soziale oder politische Einflüsse berücksichtigt werden. Des Weiteren können unvorhersehbare Katastrophen das schönste Modell invalidieren. In einer sich schnell ändernden Welt schwindet der Einfluss bestimmter Faktoren und neue Einflüsse kommen hinzu, sodass Modelle schnell veralten. Je besser ein Unternehmen diesen Prozess beherrscht umso früher kann es die Vorhersagen nutzen um Risiken erkennen und vermeiden. Es ist dann nochmal deutlich schwieriger, Vorhersagen und Risiken einzelner Unternehmen für eine ganze Industrie aufzusummieren und Schlüsse auf die Weltwirtschaft zu ziehen.

Können Sie uns bitte einige Beispiele aus dem Einsatz von Predictive Analytics in der Praxis nennen?

Malte Christian Kaufmann: Predictive Analytics kann im Prinzip überall eingesetzt werden und liefert einen großen Mehrwert für den Kunden, indem es hilft die richtigen Entscheidungen schneller zu treffen. Insbesondere mit den Herausforderungen der heutigen Zeit um Big Data ist es notwendig, auch dem Mainstream Business User Predictive-Funktionalität zu ermöglichen. Predictive Analytics findet beispielsweise Anwendung, um das Kaufverhalten von Kunden zu analysieren und deren Wünsche vorherzusehen. Es analysiert auch das Laufverhalten von Maschinen, um Anomalien festzustellen und einen Ausfall der Maschine zu verhindern und um Produktionsprozesse zu verbessern. Die Supply Chain lässt sich optimieren und Lagerbestände lassen sich reduzieren. Bei einer Marketingkampagne lässt sich die Zielgruppe bestimmen.

Anwender im Bereich Data Mining unterliegen nicht selten dem Fehler, dass Korrelationen und Kausalitäten verwechselt werden. Eine hohe Korrelation zwischen zwei Variablen bedeutet nicht, dass die beiden Variablen kausal miteinander zusammenhängen. So kann beispielsweise – rein aus den statistischen Daten – zwischen der Storchenpopulation und Geburtenrate statistisch eine hohe Korrelation berechnet werden. Wie kann im Bereich Predictive Analytics sichergestellt werden, dass die Ergebnisse auch valide sind?

Malte Christian Kaufmann: Es ist wichtig, Korrelationen zu erkennen und in der Analyse deutlich zu machen. Diese sollten dann der Ausgangspunkt für weitere Analysen sein. Was erklärt diese Korrelation? Abhängig davon kann es notwendig sein, nur eine der korrelierten Variablen als primäre Variable in der Analyse zu berücksichtigen. Aus Ihrem Beispiel folgt natürlich nicht, dass der Storch die Babys bringt, sondern der Zusammenhang erklärt sich aus der Bevölkerungsdichte und Bebauungsdichte und der sich daraus ergebenden größeren Anzahl von Nistplätzen.

Nach Analysen von Gartner sind Predictive-Analytics-Methoden auf dem Vormarsch: Was erwarten Sie für die nächsten Jahre?

Malte Christian Kaufmann: Predictive Analytics wird aus dem Elfenbeinturm herauskommen und mehr und mehr Verbreitung in Unternehmen finden. Um aus Big Data Erkenntnisse zu gewinnen, brauchen wir Techniken wie Predictive Analytics. Kein Analyst wird sich manuell durch riesige Datenmengen quälen können, um irgendwelche Erkenntnisse zu erzielen, sondern braucht die Unterstützung von Mathematik. Diese wird einhergehen mit  massiver Automatisierung auf allen Ebenen. Die notwendige Skalierbarkeit ist nur zu erreichen, wenn auch in Statistik weniger erfahrene Anwendergruppen wir Business Analysts oder was Gartner Citizen Data Scientist nennt, in die Lage versetzt werden, Predictive Modelle für den Tagesgebrauch zu erstellen und anzuwenden. Ziel ist es auch den Data Scientist zu entlasten und durch Automatisierung die Analyse der kniffeligen Probleme effizienter zu machen.

Können Sie uns bitte einen schnellen Überblick über die verschiedenen Initiativen im Bereich Predictive Analytics bei SAP geben?

Malte Christian Kaufmann: Unser Ziel ist es mittels Predictive Analytics für jedermann Wert zu schaffen. Mit unserem Angebot an Predictive Analytics Lösungen adressieren wir das gesamte Anwenderspektrum, vom Mainstream Business User bis hin zum hoch spezialisierten Data Scientist. Durch starke Automatisierung des Prozesses können wir Predictive Analytics in Echtzeit in Entscheidungsprozessen einsetzen und deren Einsatz in kleinen und großen Unternehmen ermöglichen.

SAP Predictive Analytics beinhaltet eine mächtige und zugleich einfach zu benutzende Umgebung  zum Erstellen von Predictive Modellen. Durch Automatisierung kann der Business Analyst Modelle erstellen, ebenso wie der Data Scientist, der in einer flexiblen und offenen Modellierungsumgebung komplexe Modelle erstellen kann. SAP HANA beinhaltet Predictive und Data Mining Bibliotheken, die hoch performant In-Memory in der Datenbank ausgeführt werden können.

Vielen SAP Anwendungen integrieren Predictive-Funktionalitäten tief in ihre Business Prozesse, in klassischen Bereichen wie Financials, HR, SupplyChain, ebenso wie in innovativen neuen Anwendungen wie beispielsweise Predictive Maintenance und anderen Anwendungen im IoT-Umfeld.

Dr. Malte Christian Kaufmann ist Senior Director Development / Advanced Analytics bei SAP BusinessObjects in Dublin und verantwortlich für die Integration von Predictive Analytics in SAP-Anwendungen. Er ist seit 17 Jahren bei SAP und hat unter anderem das SAP-Zentrum für Softwareentwicklung sowie nach der Akquisition von KXEN durch SAP das Entwicklungsteam für Predictive Analytics in Dublin aufgebaut. Kaufmann trägt einen Doktortitel in Physik, er promovierte an der Universität Hamburg.

Die Fragen stellte Frank Romeike, Chefredakteur RiskNET - The Risk Management Network

Dr. Malte Christian Kaufmann ist Senior Director Development / Advanced Analytics  bei SAP BusinessObjects in Dublin und verantwortlich für die Integration von Predictive Analytics in SAP-Anwendungen.

Er ist seit 17 Jahren bei SAP und hat unter anderem das SAP-Zentrum für Softwareentwicklung sowie nach der Akquisition von KXEN durch SAP das Entwicklungsteam für Predictive Analytics in Dublin aufgebaut. Kaufmann trägt einen Doktortitel in Physik, er promovierte an der Universität Hamburg.

 

 

[ Bildquelle Titelbild: © faithie - Fotolia.com ]
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