Griechenland-Referendum

Eine Reise ins Ungewisse


Griechenland-Referendum: Eine Reise ins Ungewisse News

Eigentlich sollte das Referendum vom Sonntag den Griechen und Europa endlich Klarheit über den künftigen Kurs des Landes bringen. Doch so viel ist jetzt klar: Das einzig Gewisse bleibt die Ungewissheit. Mit ihrem unmissverständlichen "Nein" zum Angebot der internationalen Geldgeber stürzen die Griechen ihr Land und die Eurozone ins völlig Unbekannte.

Der Eurogruppen-Chef und niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem hält den Ausgang der Abstimmung für "sehr bedauerlich für die Zukunft Griechenlands". Er fügte hinzu: "Schwierige Maßnahmen und Reformen sind unvermeidbar." Viele Beobachter inner- und außerhalb Griechenlands rechnen nunmehr mit einem Ausscheiden des Landes aus der Währungsunion. Immerhin bedeutet das: Selbst in dieser gesamten Unsicherheit lassen sich einige Prognosen ziemlich sicher vornehmen.

So wird Griechenland keinen schnellen Deal mit seinen staatlichen Gläubiger schließen können, obwohl Finanzminister Yanis Varoufakis, der inzwischen völlig überraschend seinen Rücktritt bekanntgegeben hat, behauptete, dass genau das nach einem "Nein" eintreten dürfte. Unklar ist, wie der Rest der Eurozone reagieren wird. Doch wie auch immer der Kurs aussehen wird, dürfte sich nicht allzu schnell eine neue Gangart ergeben. Dafür sitzt der Schock über den Ausgang des Referendums den europäischen Partnern wohl noch an diesem Montag nach Paris fliegen, um sich mit dem französischen Präsidenten Francois Hollande zu beraten. Hollandes Regierung brachte im Ringen mit den Griechen die ganze Zeit über noch das meiste Verständnis für Athen auf. Nach einem gemeinsamen Telefonat, bei dem die beiden Spitzenpolitiker darin übereinstimmten, dass die Wahl der griechischen Bürger respektiert werden müsse, haben Merkel und Hollande einen Euro-Sondergipfel für Dienstag anberaumt.

Die Euro-Regierungen dürften der siegreichen linksorientierten Regierung unter Premier Alexis Tsipras allerdings kein besonderes Geschenk machen wollen. Solch ein Entgegenkommen würde lediglich einen Präzedenzfall für Extremisten andernorts in der Währungsunion schaffen. Bereits vergangene Woche hatten Spitzenpolitiker der Eurozone die Griechen unmissverständlich davor gewarnt, dass ihre Hoffnungen auf einen substanziellen Schuldenschnitt im Falle eines "Nein" einer Illusion entspränge. Doch Tsipras' überwältigender Wahlsieg dürfte es nunmehr schwierig machen, seine Forderungen gänzlich vom Tisch zu wischen.

Für die Kreditgeber steht viel auf dem Spiel. Allein bei Deutschland stehen die Griechen mit mehr als 60 Milliarden Euro in der Kreide. Über andere Kanäle - wie deutsche Geschäftsbanken und die Europäische Zentralbank (EZB) - erhöht sich das Ausfallrisiko für die Deutschen noch. Das nächste Schlüsseldatum ist der 20. Juli, wenn griechische Staatsanleihen bei der EZB für 3,46 Milliarden Euro fällig werden.

Noch etwas anderes ist klar: Die Banken bleiben auch am Montag in Griechenland geschlossen. Selbst wenn verspieltes Vertrauen schnell wieder hergestellt würde, blieben die Banken noch für einige Wochen geschlossen. Die Kapitalverkehrskontrollen müssten wohl sogar noch einige Zeit länger in Kraft bleiben. In Zypern, wo das Rettungspaket im Jahr 2013 relativ schnell geschnürt wurde, blieben die Banken zwölf Tage lang geschlossen.

Die griechischen Banken könnten erst wieder ihren Betrieb aufnehmen, sobald es ein relativ solides Abkommen gebe, meint Professorin Carmen Reinhart von der Harvard-Universität. "Vertrauen kann nicht wiederhergestellt werden, indem man sagt: Wir sind fast bei einer Lösung angekommen."

Athen dürfte bis auf weiteres nicht über ausreichend frische Euroscheine verfügen. Die griechische Zentralbank kann keine mehr ausgeben. Zugleich dürfte die EZB nicht noch mehr Geld in das südeuropäische Land pumpen, da die Zukunft der Griechen in Euroland politisch äußerst ungewiss ist. Athen dürfte aktuell kaum in der Lage sein, seine externen Gläubiger wieder zu bedienen. Griechische Bürger dürften sich wohl auch dagegen sträuben, Steuern, Mieten oder Kreditkartenrechnungen zu zahlen, um nicht ihre Euro hergeben zu müssen. Im Endeffekt wird die Regierung insofern ihre internen Verbindlichkeiten mit Schuldscheinen begleichen müssen.

Ein tiefer Schuldenschnitt für Griechenland dürfte alles in allem unvermeidbar sein. Seit dem Jahr 2010 wurde ein Großteil der griechischen Schulden von privaten auf staatliche Gläubiger transferiert: die Regierungen der Eurozone und den Internationalen Währungsfonds (IWF). Der Euroraum hat derweil die Zinslasten für die Griechen erheblich reduziert und die Zahlungsfristen deutlich verlängert.

Dass nunmehr zumeist Regierungen die Schulden der Griechen halten, dürfte die Reaktion der Finanzmärkte auf das Referendum abmildern. Doch eine Lektion hält die Geschichte traditionell bereit: weniger Zinslast und längere Laufzeiten haben so gut wie noch nie eine Schuldenkrise gelöst. Deshalb ist Professorin Reinhart, die Schuldenkrisen der 1930er und 1980er Jahre analysiert hat, skeptisch, was den momentanen Attentismus der Euro-Staaten anbelangt.

Ifo-Präsident Sinn: Griechen verfügen über Geld wie Heu

Unterdessen rät ifo-Präsident Hans-Werner Sinn den Griechen, nun den Sprung in die eigene Währung zu wagen. "Die Drachme sollte sofort als virtuelle Währung eingeführt werden", sagte er in München. "Alle Verträge des Landes einschließlich der Schuldverträge mit Ausländern sollten umgewandelt werden. Das würde den griechischen Staat und die griechischen Banken wieder flüssig machen." Zugleich sollte die Staatengemeinschaft darauf verzichten, jene Euro-Banknoten einzutreiben, über die griechische Bürger verfügten, sondern zulassen, dass sie für Bargeschäfte verwendet würden, obwohl die Preise in Drachme definiert würden, sagte Sinn. 

"Griechenlands Staat ist nach der offiziellen Feststellung des Rettungsschirms EFSF zahlungsunfähig, und da er insolvent ist, sind es auch die Banken, mit denen er vielfach verbunden ist", fügte Sinn hinzu. In dieser Situation dürfe die EZB nicht mehr zulassen, dass die griechische Notenbank den Banken weitere Notkredite gewähre. "Damit kommt freilich die Wirtschaft zum Erliegen, wenn nicht rasch ein neuer fiskalischer Rettungsschirm aufgespannt wird oder Griechenland zur Drachme zurückkehrt. Da absehbar ist, dass die Verhandlungen über einen weiteren Rettungsschirm nur noch mehr Zeit kosten, ohne zum Erfolg zu führen, sollte Griechenland die neue Währung einführen."

Da die neue Drachme rasch abwerten würde, käme es vermutlich schon nach ein, zwei Jahren wieder zu einem kräftigen Wirtschaftsaufschwung, weil weniger Importware gekauft und der Tourismus belebt werde. Außerdem komme das Fluchtkapital sehr rasch zurück. "Die Staatengemeinschaft sollte den schwierigen Umstellungsprozess mit großzügigen Übergangshilfen abfedern, die für humanitäre Hilfen an die Ärmsten zweckgebunden sind. Ferner sollte sie Griechenland die Möglichkeit eröffnen, zu einem späteren Zeitpunkt gestärkt und zu einem anderen Wechselkurs in den Euro zurückzukehren."

Sinn fügte hinzu: "Die Griechen in ihrer Gesamtheit verfügen über Geld wie Heu, etwa über 120 Milliarden Euro mehr, als es der Landesgröße angemessen ist. Nur wurde der Geldüberschuss großenteils ins Ausland geschaffen und ist extrem ungleich verteilt. Man muss von der sozialistischen griechischen Regierung erwarten, dass sie nun endlich auch selbst Anstrengungen unternimmt, einen Teil dieses Geldes zur Vermeidung einer humanitären Katastrophe heranzuziehen." 

[ Bildquelle Titelbild: © sp4764 - Fotolia.com ]
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