Quantitative Methoden

Strukturiertes Denken jenseits der Intuition


Quantitative Methoden: Strukturiertes Denken jenseits der Intuition Kolumne

Stellen wir uns folgende Situation vor: Vor rund 100.000 Jahren streift der Homo neanderthalensis durch die tiefen Wälder und begegnet plötzlich einem eurasischen Riesenhirsch. Was tun? Weglaufen oder Angriff? Rasend schnell laufen Heuristiken beziehungsweise intuitive Prozesse im Neandertaler ab. Welche Erfahrungen hat er bisher mit Riesenhirschen gesammelt? Er wird also entweder recht zügig das Weite suchen oder angreifen. Ohne solche intuitiven Prozesse wäre die Menschheit recht schnell ausgestorben. Die Entscheidungsheuristik ist fest im Homo neanderthalensis "verdrahtet".

Intuition ist in vielen Situationen ein exzellenter Ratgeber. In Gefahrensituationen haben wir keine andere Wahl, als unser so genanntes Bauchgefühl zu fragen. Wir hätten keine Chance eine strukturierte Szenarioanalyse durchzuführen, da wir schnell entscheiden müssen (in der Welt des Psychologen und Nobelpreisträgers Daniel Kahneman handelt es sich dabei um die schnelle Gehirnhälfte). Wir gelangen zu einer Entscheidung, ohne diskursiven Gebrauch des Verstandes oder analytischer Methoden, also etwa ohne bewusste Schlussfolgerungen. Intuition hat daher einen engen Zusammenhang mit der "inneren" Logik der Gegebenheiten und mit früheren Erfahrungen.

In diesem Kontext kritisiert der Direktor des Harding-Zentrum für Risikokompetenz, Gerd Gigerenzer, logisch-rationale Modelle, die das Fällen von Urteilen und Entscheidungen als das Resultat komplexer unbewusster Algorithmen betrachten. Stattdessen ist er davon überzeugt, dass Entscheidungen vor allem intuitiv anhand von Faustregeln getroffen werden. Neurowissenschaften widersprechen dieser Sichtweise – vor allem bei unternehmerischen Entscheidungen unter Risiko. Derartige Entscheidungen sind in der Regel durch einen gewissen Komplexitätsgrad gekennzeichnet, so dass wir uns lieber nicht auf Heuristiken oder Intuition verlassen sollten. "Intuition basiert auf der Fähigkeit der Mustererkennung im Gehirn, das heißt einer automatischen Abwägung von gelernten Wahrscheinlichkeiten", so der Neurowissenschaftler Bernd Weber, Professor am Center for Economics and Neuroscience an der Universität Bonn.

Heuristiken sind in diesem Kontext eine spezielle Form dieser Art von Intuition, die auf automatischen Erfahrungswerten beruht. Doch in komplexen und risikobehafteten Entscheidungssituationen liegen vielfach derartige Erfahrungswerte nicht vor. So führen Entscheidungen – basierend auf Intuitionen und Heuristiken, nicht selten zu Fehlern. Dies ist insbesondere immer dann der Fall, wenn sich das Umfeld verändert, was bei unternehmerischen Entscheidungen eher die Regel als die Ausnahme ist. Oder anders formuliert: Der Blick in den Rückspiegel führt zu einer fehlerhaften Heuristik.

Es kommt darauf an, aus der Zukunft zu lernen

Daher verhalten sich in der Unternehmenssteuerung nicht wenige Manager wie ein Autofahrer, dessen Frontscheibe beschlagen ist und der deshalb mit Hilfe des Rückspiegels fährt. Das Ergebnis ist offensichtlich: Die Fahrt wird mit einem Totalschaden in der nächsten Kurve oder beim nächsten Hindernis enden. Eine auf Heuristen basierende und reaktive Unternehmenssteuerung unterstellt eine einfache Ursache-Wirkungs-Abfolge. Alles was es in der Vergangenheit nicht gab, darf es auch in der Zukunft nicht geben.

Es ist eine triviale Erkenntnis, dass das Umfeld von Unternehmen zunehmend dynamischer und weniger voraussagbar wird: Kunden informieren sich über neue Medien und (re)agieren schneller. Neue Geschäftsmodelle überrollen traditionelle Konzerne. Wettbewerber werden kreativer und überraschen ihre Konkurrenten mit neuen Methoden und Ansätzen. Wir erleben heute neue Anbieter auf dem Markt, von denen wir vor wenigen Jahren noch nie etwas gehört haben. Beispielsweise wird der Markt der digitalen Fotografie heute von Marktteilnehmern dominiert, die viele vor wenigen Jahrzehnten nicht auf dem Radar hatten. Im Bereich der Smartphone-Anbieter agieren Unternehmen, die vor wenigen Jahrzehnten vielfach unbekannt waren. Wie wird die Telekommunikationsbranche oder die Finanzdienstleistungsindustrie in zehn oder zwanzig Jahren aussehen? Wie die Medienbranche? Und welche Entwicklung wird die Automobilindustrie mittel- und langfristig erleben? Mit welchen zukünftigen Risiken werden sich Unternehmen in den nächsten 10 bis 20 Jahren beschäftigen müssen? Intuition und ein Blick in den Rückspiegel wird hier kein guter Ratgeber sein. Ergo gilt es, den Blick nach vorne zu richten und valide Informationen in den Gesamtrisikomanagementprozess einzubringen. Stimmt die Datenbasis, lassen sich sichere und chancenbasierte Voraussagen treffen.

Im Umkehrschluss kritisiert Daniel Kahneman, dass oftmals zu wenig an Informationen in den Voraussageprozess einfließen: "Wir machen alle immer wieder extreme Voraussagen auf der Basis von sehr wenig Informationen." Und in diesem Kontext geht es eben darum, die richtigen Informationen für Prognosen herauszufiltern.

Im Kern geht es darum, Unsicherheiten professionell zu managen. Mit quantitativen Methoden – etwa aus der Welt der Stochastik – und Simulationswerkzeugen existieren bereits die dafür benötigten Methoden. Allerdings schrecken viele Unternehmen vor einer Anwendung zurück. Bezüglich der Gründe für den Nichteinsatz von Simulationen zeigen die Ergebnisse einer vom Kompetenzportal RiskNET in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Hamburg-Harburg und der C21 Consulting GmbH durchgeführten Studie [vgl. Meyer/Romeike/Spitzner 2012], dass insgesamt Simulationsmethoden der Ruf vorauseilt, zu komplex zu sein. Zu schlechte Datenbasis, zu viele Variablen, zu quantitativ, dies sind ein paar der Vorwürfe, die gegen den Einsatz von Simulationen gerichtet werden. Die Studienergebnisse zeigen, dass das Management in der Regel eher wenig Erfahrung mit Simulationen hat und daher häufiger bekannte und vermeintlich einfachere Methoden einsetzt. Die damit fehlenden "persönlichen Erfolgserlebnisse beim Einsatz von Simulationen" können ebenfalls als Grund für den Nichteinsatz gesehen werden. Denn die Studie zeigt deutlich, dass positive Erfahrungen mit Simulations- und Szenariomethoden klare Treiber für deren Einsatz sind. Liegt einmal eine positive Erfahrung mit dem Einsatz eines Instruments vor, wird es zukünftig häufiger eingesetzt.

Zu schlechte Datenbasis, zu viele Variablen, zu quantitativ?

In einer immer komplexer werdenden Welt bieten Simulationen einen immer größer werdenden Nutzen bei der Steuerung von Unternehmen. Dies gilt aber nur, sofern die Methoden und Instrumente effektiv und effizient verstanden, die Ergebnisse korrekt interpretiert werden und in die Entscheidungsprozesse einfließen. Denn dadurch lassen sich Chancen und Risiken viel besser abschätzen und erhöhen die Qualität der Entscheidungsgrundlagen, was wiederum zu einem bedeutenden Wettbewerbsvorteil wird. Je systematischer und früher Einflüsse durch Chancen und Risiken simuliert werden, desto höher ist der Nutzen. Und in der Zwischenzeit bietet der Markt auch eine Reihe von professionellen Werkzeugen, etwas zur stochastischen Szenarioanalyse. Das Excel-Addon @Risk ist beispielsweise das weltweit am weitesten verbreitete Tool zur Durchführung stochastischer Szenarioanalysen im Risikomanagement und bietet einen intuitiven Zugang zu Simulationen. Entwickelt und angeboten wird @Risk von der im Jahr 1984 gegründeten Palisade Corporation.

Insgesamt ist die eher negative Einstellung des Managements zu Simulationen erstaunlich, da das Denken in Szenarien alles andere als neu ist. Der Begriff der Szenarien lässt sich etymologisch auf den antiken griechischen Philosophen Platon zurückverfolgen, der im 4. bis 3. Jahrhundert vor Christus in der Anthropologie, Erkenntnistheorie, Ethik, Kosmologie, Kunsttheorie, Metaphysik und Staatstheorie Maßstäbe definierte. Damals wie heute erzieht die Beschäftigung mit Szenarien und Modellen zu objektiverem Denken und bewirkt eine Präzision der Sprache. Wir versuchen über das Denken in potenziellen Szenarien der Zukunft ein wenig Licht in die Gänge einer für uns unbekannten Zukunft zu bringen.

Lernen aus der Zukunft

Wenn wir es mit komplexen Entscheidungen unter Risiko zu tun haben, ist es zwingend notwendig, entsprechende analytische und quantitative Methoden einzusetzen. Und am Ende des Entscheidungsprozesses ist es ohne weiteres denkbar, dass die emotionale oder intuitive Entscheidung trotz alledem den Vorrang erhält. Der französische Schriftsteller Victor-Marie Hugo hat hierzu treffend formuliert: "Die Zukunft hat viele Namen: Für Schwache ist sie das Unerreichbare, für die Furchtsamen das Unbekannte, für die Mutigen die Chance." Also gilt es mutig zu sein – im Sinne eines chancenbasierten und zukunftsgerichteten Risikomanagements.

Autor:

Frank Romeike, geschäftsführender Gesellschafter RiskNET GmbH, Gründer und Partner RiskNET Advisory & Partner sowie Chefredakteur der Zeitschrift RISIKO MANAGER.

Weiterführende Literaturhinweise:

Meyer, Matthias/Romeike, Frank/Spitzner, Jan (2012): Simulationen in der Unternehmenssteuerung; empirische Studie in Zusammenarbeit von TU Hamburg-Harburg, RiskNET und C21 Consulting, RiskNET GmbH, Brannenburg 2012.

Palisade EMEA Risk Conference 2015

Thema: Best Practices in der Risiko- und Entscheidungsanalyse

Wo: München

Wann: 18. Juni 2015

Palisade lädt Sie ein zu einer eintägigen Konferenz nach München ein. Branchenexperten werden eine Auswahl von realen Fallstudien im Bereich Risikomodellierung und Risikoanalyse präsentieren.

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[ Bildquelle Titelbild: © agsandrew / Fotalia.com ]
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