Null Wachstum, null Inflation und null Hoffnung

Das neue Nichts


Das neue Nichts: Null Wachstum, null Inflation und null Hoffnung Kolumne

In letzter Zeit habe ich einen sehr besorgniserregenden Trend beobachtet – überall, wo ich hinkomme, bin ich der Optimist. Das gibt mir zu denken und sollte auch Ihnen zu denken geben, weil ich normalerweise als die Person vorgestellt werde, die fünf der letzten zwei Krisen vorhergesagt hat.

Ich schreibe diese Zeilen auf meinem Rückflug nach Kopenhagen nach einem Besuch in Slowenien und Kroatien – Ländern, in denen man die Hoffnung auf die Zukunft aufgegeben hat. Die gleiche Beobachtung konnte ich vor kurzem auf einer Reise nach Hongkong und Australien und bei einer anderen Gelegenheit davor in der Türkei machen.

Wir haben null Wachstum, null Inflation und null Hoffnung. Durch diese Kombination verfallen die von diesen Umständen betroffenen Ländern in völlige Apathie, da null Zinsen so interpretiert werden, als seien keine Reformen notwendig. Durch die fehlende Inflation gibt es keine neuen Spielräume und auch keine neuen Lohnverhandlungen. Null Hoffnung hat zur Folge, dass politische Wahlen zwar die Beziehungen von Staatsoberhäuptern, doch nicht ihre Politik und gewiss nicht ihre Zukunftsvision ändern können.

Das ist eine der unbeabsichtigten Folgen einer auf Nullwachstum und -inflation basierenden Wirtschaft und Politik. Allerdings hat diese Apathie einen Zenit erreicht, der dringend Maßnahmen erfordert. Medienvertreter und politische Entscheidungsträger sprechen ständig darüber, was wir nicht tun können.

Sie lassen keinen Raum für Gespräche darüber, was wir tun können und bezeichnen Träume als reine Fantasie, die man am besten Kindern überlassen sollte. Dieses neue Nichts schafft eine Jugend, eine politische Ordnung und eine Wirtschaftsperspektive, die stärker in den Köpfen der Menschen als in der Realität verankert ist. Alle Länder, die ich besuche, verfolgen eine unheilvolle makroökonomische Politik und haben eine politische Klasse, die hauptsächlich daran interessiert ist, den Status quo (sowie eine dynamische Mikroökonomie) zu erhalten. Es gibt immer Geschäftsleute und Studierende, die zu mehr und besserem Handeln – zu höherem und weiterem Streben – bereit sind, doch in dieser "Realität des Nichts" untergehen.

Hier ist also meine Lösung, die funktionieren sollte und würde.

Erstens muss jeder anerkennen, warum uns Gott zwei Ohren, doch nur einen Mund gegeben hat. Denn das bedeutet, dass wir doppelt so viel hören wie reden. Wir sollen mehr zuhören als sprechen!

Zweitens muss jeder mehr Ehrgeiz zeigen. Sie selbst, Ihr Land, Ihr Unternehmen sollte(n) mehr darüber sprechen, was Sie tun können, und nicht darüber, was Sie nicht tun können.

Das ist meine politische und ökonomische Plattform (oder besser gesagt meine "Nicht-Plattform", da ich derzeit nicht für ein Amt kandidiere). Dieses Credo lässt sich einfach und ohne großen Aufwand umsetzen.

1. Versprechen: Als Ihr Präsident verspreche ich Ihnen, absolut nichts zu tun, sondern nur das Land in all seinem Handeln zu unterstützen.

Durch die Fehlallokation von Kapital und Ressourcen und die Einschränkung der Kreativität und Meinungsfreiheit macht Makroökonomie die Produktivität, Innovation, persönliche Freiheit und Träume zunichte. Eine reiche Gesellschaft wächst von unten, nicht von oben.

2. Versprechen: Der öffentliche Sektor darf in den nächsten zehn Jahren nicht größer werden.

Es wird keine Entlassungen geben. Der private Sektor muss jedoch in der Lage sein, stärker als der öffentliche Sektor zu wachsen, während der öffentliche Sektor ehrgeiziger sein muss. Der öffentliche Sektor muss seine Aufgaben optimal erfüllen, nicht mehr und nicht weniger. Der öffentliche Sektor spielt eine zentrale Rolle in jeder Gesellschaft und hat ganz eigene Aufgaben.

3. Versprechen: Bei jeder Einführung eines neuen Gesetzes muss ein (altes) Gesetz abgeschafft werden.

In die meisten Gesetze, die Wirtschaft, Steuern und Anreize zum Inhalt haben, sollten Auslaufklauseln aufgenommen werden. Jede Woche erreicht der Verwaltungsaufwand ein neues Allzeithoch und verursacht "Kontrollkosten" ohne produktiven Nutzen.

4. Versprechen: Das gesamte Kreditkapital und politische Kapital sollte in KMU, d. h. kleine und mittlere Unternehmen investiert werden.

EU-Studien zufolge werden 85 Prozent aller neuen Arbeitsplätze in KMU geschaffen, die zudem der alleinige Motor für Produktivität und Innovation sind. Da Start-up-Unternehmen in erheblichem Umfang zur Leistung dieses Sektors beitragen, sollte ein Schwerpunkt auf der Schaffung von Anreizen für Unternehmensneugründungen liegen.

Ich empfehle eine Steueramnestie für die ersten drei Jahre (ohnehin machen die meisten Unternehmen erst ab dem fünften Jahr Gewinne) und schlage vor, dass Investitionen in Start-ups in Spitzensteuer- und Altersversorgungssystemen abzugsfähig sein sollten.

Das war's. Es handelt sich hier um die Rückentwicklung meiner Wirtschaftstheorie des Bermuda-Dreiecks (Bermuda Triangle of Economics), die erklärt, wie heute und aufgrund der Nullzinspolitik 20 Prozent aller Unternehmen (börsennotierte Unternehmen, Banken und staatseigene Unternehmen) 100 Prozent des zur Verfügung stehenden Kreditkapitals und politischen Kapitals erhalten. Das bedeutet, dass ihre Finanzierungsraten 300–400 Basispunkte unter einem normalen Geschäftszyklus liegen.

Zugleich erhalten KMU (die restlichen 80 Prozent aller Unternehmen) keinerlei Kredit- und politisches Kapital.

Die Aktienkurse steigen, weil die abgezinsten Zahlungsströme (300–400 Basispunkte unter Normalniveau) zu einer höheren Bewertung führen. Arbeitslosigkeit und Ungleichheit steigen weiter – es gibt kein Wachstum, keine Produktivität, keine politischen Veränderungen und keine Hoffnung.

Doch es gibt einen Grund dafür, warum die Hoffnung auf dem Nullpunkt ist. Das systemische Versagen der politischen Entscheidungsträger, das schlechteste geldpolitische Experiment in der Geschichte zu verstehen und rückgängig zu machen, hat eine Situation herbeigeführt, in der wir eine schwere Krise benötigen, um den Mantel dieser "Realität des Nichts" abzuschütteln.

Ich bin optimistisch und voller Hoffnung, dass Technologie und intelligente, fähige, gut ausgebildete Menschen ihren Beitrag leisten werden, wenn sie nur die Chance dazu bekommen. Die besagten 80 Prozent können uns in weniger als fünf Jahren wieder auf die (Erfolgs-)Spur bringen, wenn ihnen dazu die Möglichkeit gegeben wird - wobei das Wachstum nicht langsam, sondern exponentiell sein wird.

Meine Reisen zeigen mir, dass die Welt in Neutralität verharrt. In gewissem Sinne möchte jeder "halbschwanger" sein, suhlt sich in dem Gedanken, dass "alles schlimmer sein könnte", und verkennt die Realität.

Die Folgen für die Märkte sind mannigfaltig: Unternehmen können nicht mehr expandieren und hohe Gewinne einfahren, wenn ihre Kunden – die besagten 80 Prozent – weniger Geld zum Ausgeben haben. Im jetzigen Nullzinsumfeld hat "Financial Engineering" (Finanzsteuerung) sein Maximum, die Krönung der Excel-Tabellenkunst erreicht (diskontierter Cashflow nahe Null = unendliche Bewertung).

Was kommt noch hinzu? "Null" erwartete Erträge für Aktienmärkte, eine Normalisierung der Zinssätze – nicht auf Basis des Wachstums, sondern vielmehr auf Basis der Notwendigkeit, die Nullsätze zu "normalisieren" – und eine tektonische Verschiebung von Investitionen in "Papiergeld" hin zu Investitionen in Produktivität und Arbeitsplätze unter den besagten 80 Prozent.

Ich erwarte einen Margin Call der US-Notenbank im Juni oder September, einen Grexit und einen weitaus stärkeren Dollar (EUR/USD bei 1,10) in einer Endphase, in der der Liquiditätsmangel und der beschränkte Zugang zu Finanzierungsmitteln in USD zu einer "Mini-Krise" führen wird.

Die Welt ändert ihre Richtung immer nur nach einer Krise, wobei alle makroökonomischen Änderungen auf politische Fehler zurückzuführen sind.  2015 ist ein verlorenes Jahr. Doch ich glaube, dass wir die Realität des Nichts 2016 hinter uns lassen werden und bin jetzt optimistischer als jemals zuvor. Warum ich so denke, könnten Sie fragen. Weil die Situation noch nie schlechter war!

Autor:

Steen Jakobsen wurde im März 2011 zum Chefökonom der Saxo Bank ernannt. Jakobsen kehrte nach zweijähriger Abwesenheit zur Bank zurück. In dieser Zeit war er als Chief Investment Officer bei Limus Capital Partners tätig. Vor seinem Weggang Anfang 2009 war Jakobsen fast neun Jahre lang Chief Investment Officer der Saxo Bank. Jakobsen verfügt über mehr als 20-jährige Erfahrung im Bereich des Eigenhandels und der alternativen Investments. Nach Abschluss seines Wirtschaftsstudiums an der Universität Kopenhagen startete er seine berufliche Laufbahn 1989 bei der Citibank N.A. in Kopenhagen.

Steen Jakobsen wurde im März 2011 zum Chefökonom der Saxo Bank ernannt. Jakobsen kehrte nach zweijähriger Abwesenheit zur Bank zurück. In dieser Zeit war er als Chief Investment Officer bei Limus Capital Partners tätig. Vor seinem Weggang Anfang 2009 war Jakobsen fast neun Jahre lang Chief Investment Officer der Saxo Bank. Jakobsen verfügt über mehr als 20-jährige Erfahrung im Bereich des Eigenhandels und der alternativen Investments. Nach Abschluss seines Wirtschaftsstudiums an der Universität Kopenhagen startete er seine berufliche Laufbahn 1989 bei der Citibank N.A. in Kopenhagen.

Im Anschluss daran wechselte er als Director, Head of Sales and Options, zur Hafnia Merchant Bank. Im Jahr 1992 trat er eine Stelle als VP, Head of Scandinavian Sales, bei Chase Manhattan in London an und ging später zur Chase Manhattan Proprietary Trading Group. Von 1995 bis 1997 war er als Eigenhändler und Head of Flow Desk bei der Swiss Bank Corp., London, tätig.  1997 wurde er Global Head of Trading, FX & Options bei Christiania (heute Nordea) in New York, bis er 1999 eine Stelle als Executive Director in der Global Proprietary Trading Group von UBS in New York übernahm.

 

[ Bildquelle Titelbild: © bluedesign - Fotolia.com ]
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