Die Sicherheitsstrategie des BMVI

Schutz kritischer Infrastrukturen


Die Sicherheitsstrategie des BMVI: Schutz kritischer Infrastrukturen News

Anfang des Jahres legte die parlamentarische Staatssekretärin des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) und Koordinatorin der Bundesregierung für Güterverkehr und Logistik, Dorothee Bär, die "Sicherheitsstrategie für die Güterverkehrs- und Logistikwirtschaft – Schutz kritischer Infrastrukturen und verkehrsträgerübergreifende Gefahrenabwehr" vor (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 2015a). Die Strategie, die auch als Download verfügbar ist, ist Teil des Aktionsplans Güterverkehr und Logistik und wurde gemeinsam mit Verbänden und Unternehmen der Transportwirtschaft erarbeitet.

Mit diesem Beitrag nehmen wir eine Bewertung der Sicherheitsstrategie vor. Wir analysieren dazu die Aussagen des Dokuments und bewerten sie. Gleichzeitig werden wir diejenigen Fragestellungen identifizieren, die durch das Papier bisher nicht beantwortet werden. Unser Artikel ist damit auch ein Beitrag zu einer Strategiediskussion im Kontext Sicherheit.

Zweck und Adressaten der Strategie

Auch wenn die erschienene Broschüre, im Rahmen derer die Strategie dokumentiert ist, Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung ist, so adressiert sie ihre Botschaft doch an einen bestimmten Kreis von Personen beziehungsweise Institutionen: Die Strategie richtet sich konkret "zunächst an die Behörden im Geschäftsbereich des BMVI" [BMVI, S. 3]. Allerdings werden auch die Unternehmen und Verbände der Güterverkehrs- und Logistikbranche explizit als Adressaten genannt [BMVI, S. 3].

Der eigentliche Zweck der Strategie ist zu Beginn des Papiers formuliert: So soll die Strategie darlegen, wie das BMVI die Schutzaufgabe bezüglich kritischer Infrastrukturen sowie die verkehrsübergreifende Gefahrenabwehr "versteht und wahrnimmt" [BMVI, S. 3]. Diese Formulierung ist allerdings insofern schwammig, als eine Strategie üblicherweise als Weg verstanden wird, bestimmte, klar definierte Ziele zu erreichen. Bea und Haas definieren eine Strategie als "Maßnahmen zur Sicherung des langfristigen Erfolgs […]". [Bea/Haas 1997] Eine Strategie definiert den Weg zum Ziel und nicht etwa, wie ein bestimmter Kreis ein Thema versteht und wahrnimmt. Konkret beschreibt eine Strategie unter anderem konzeptionelle, organisatorische und sonstige Ansätze, die zukünftig zu realisieren sind. Bereits im Vorwort wird allerdings einschränkend darauf hingewiesen, dass es bei der entworfenen Strategie gerade nicht um "einen umfangreichen Katalog ‚harter‘ Maßnahmen, sondern um eine Verbesserung des Instrumentariums […] geht." [BMVI, S. 2]. Damit täuscht bereits der Titel des Dokuments über den Inhalt. Der Begriff "Strategie" leitet sich aus dem Griechischen ab und kann allgemein mit "Feldherrenkunst" übersetzt werden. Analog zum Militärischen sollte somit eine Sicherheitsstrategie Informationen über den richtigen Einsatz aller Ressourcen, Techniken, Methoden und Materialien enthalten. Kurzgefasst: Strategie ist die Kunst, zu gewinnen und erfolgreich zu sein.

Abgrenzung wesentlicher Begriffe

In den Abschnitten zwei und drei werden Begriffe inhaltlich definiert und voneinander abgegrenzt, die eine zentrale Rolle in der Sicherheitsstrategie spielen. Zunächst geht das Dokument auf die Bedeutung von Logistiksystemen für die deutsche Volkswirtschaft ein. Unter Einbezug der Verwundbarkeit übernimmt die Sicherheitsstrategie die Definition kritischer Infrastrukturen aus der "Nationalen Strategie zum Schutz kritischer Infrastrukturen" des Bundesinnenministeriums [Bundesministerium des Innern 2009]. Dieser Ansatz ist positiv zu bewerten, weil damit ministeriumsübergreifend eine einheitliche inhaltliche Abgrenzung wichtiger Begriffe erfolgt.

Ein wichtiges Kriterium dafür ist die Kritikalität der Infrastrukturen. Diese wird dann als kritisch betrachtet, wenn ein relatives Maß für die Bedeutsamkeit einer Infrastruktur in Bezug auf die Konsequenzen, die eine Störung oder ein Funktionsausfall für die Versorgungssicherheit der Gesellschaft mit wichtigen Gütern und Dienstleistungen vorliegt [vgl. Bundesministerium des Innern 2009, S. 5].

Ergänzend weisen die Autoren darauf hin, dass eine Infrastruktur vor allem dann eine systemische Kritikalität aufweist, wenn sie aufgrund ihrer strukturellen, funktionellen und technischen Positionierung im Gesamtsystem der Infrastrukturbereiche von besonders hoher interdependenter Relevanz ist. Dies ist für den Sektor "Transport und Verkehr" sicherlich erfüllt, wie die Erfahrungen nach dem "Tõhoku-Erdbeben" im Jahr 2011 transparent gemacht haben. Dennoch erscheinen nicht alle Abgrenzungen konsistent. So wird in der zitierten Strategie des Bundesinnenministeriums der Sektor "Transport und Verkehr" in die sechs Branchen Luftfahrt, Seeschifffahrt, Binnenschifffahrt, Schienenverkehr, Straßenverkehr und Logistik eingeteilt. In der wissenschaftlichen Diskussion zur Logistik werden die fünf erstgenannten Verkehrsarten üblicherweise als Element der Logistik verstanden [vgl. beispielsweise Pfohl 2010].

Unklar bleibt in der Strategie die Abgrenzung von Risiken, Gefahren und Bedrohungen. Der Begriff Gefahr wird teilweise im Text als Synonym für Risiko verwendet und in einigen Abschnitten als Ursache für Risiken. Hier wäre eine konsistente Abgrenzung zwischen Ursachen, Risiken und Wirkungen (causes, risks, effects) sinnvoll gewesen [vgl. Abbildung 01]. So sprechen die Autoren beispielsweise von Risiken, die sich aufgrund der Vernetzung der modernen Gesellschaft und dem technischem Wandel ergeben. Gemeint sind hiermit aber vielmehr die Treiber bzw. Ursachen für potenzielle Risiken im Sinne von Zielabweichungen. Wünschenswert wären hier saubere Definitionen und Abgrenzungen von verwendeten Begrifflichkeiten.

Abbildung 01: Ursache-Wirkungsketten im Bow-Tie-Diagramm [Quelle: RiskNET GmbH]

Abbildung 01: Ursache-Wirkungsketten im Bow-Tie-Diagramm [Quelle: RiskNET GmbH]

Bedeutsam ist dennoch, wie das Papier aktuelle Entwicklungen in globalen Supply Chains, wie zum Beispiel der kontinuierlichen Verschlankung von Prozessen sowie die steigende Komplexität von Lieferketten, mit der Verwundbarkeit dieser Wertschöpfungsketten verknüpft. Daraus wird die Dringlichkeit einer Sicherheitsstrategie ersichtlich.
Trotz der oben skizzierten Kritik ist es positiv zu bewerten, dass die Strategie drei wesentliche Gefahrenbereiche definiert. Diese Einteilung ist hilfreich für die Analyse zukünftiger Szenarien wie auch für die Entwicklung potenzieller Maßnahmen. Sie ist noch zu untergliedern, um noch konkreter Ursachen und Wirkungen untersuchen und Gegenmaßnahmen planen zu können, aber auf Ebene des Strategiepapiers wird diese Kategorisierung als ausreichend angesehen.

Leitlinien für die Sicherheitsstrategie

Die Beteiligten (das heißt die oben definierten Behörden im Geschäftsbereich des BMVI sowie Unternehmen und Verbände der Güterverkehrs- und Logistikbranche) sollten mehrere Rahmenbedingungen berücksichtigen, die als "Leitlinien" bezeichnet werden. Diese Leitlinien beziehen sich unter anderem

  • auf (mehr oder weniger) konkrete Ziele, wie zum Beispiel die "Herstellung eines möglichst hohen Sicherheitsniveaus",
  • auf die Zusammenarbeit, wie zum Beispiel bei der "Ermittlung und Reduzierung maßgeblicher Risiken und Schwachstellen", durch die "Einbindung aller […] relevanten Akteure oder durch ein "Management by Objectives" ("Festlegung von Zielen anstelle […] bestimmter Mittel oder Technologien") und
  • auf Reaktionen im Schadenfall, wie zum Beispiel "schnelle und koordinierte Reaktion zur […] Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Logistiksystems" [BMVI, S. 8].

Grundsätzlich werden diese groben Leitlinien als sinnvoll erachtet. Sie sind aber – wie große Teile der veröffentlichten Strategie – zu wenig konkret formuliert, um als für die Praxis anwendbare Anforderungen fungieren zu können. Was beispielsweise ist "ein möglichst hohes Sicherheitsniveau bei möglichst geringer Belastung"? Was ist eine "möglichst hohe Zuverlässigkeit des Gesamtsystems"? Was ist unter "regelmäßigen Konsultationen" zu verstehen? Durch die Leitlinien werden grobe Vorstellungen formuliert, die aber zu wenige Anhaltspunkte für eine konkrete Umsetzung bieten. Hier wären quantitative oder semiquantitative Zielgrößen oder konkrete Beispiele hilfreich. Mithilfe einer Szenarioanalyse könnten Unternehmen oder die öffentliche Hand beispielsweise Szenarien entwickeln und hieraus bestimmte Stressszenarien definieren, die mithilfe geeigneter Maßnahmen in jedem Fall verhindert werden müssen.

Vorgeschlagene Maßnahmen der Sicherheitsstrategie

Im Anschluss an die Leitlinien werden unterschiedliche Maßnahmen erläutert. Sie bilden den Kern der Sicherheitsstrategie. Diese Maßnahmen sind:

  • Stärkung der Widerstandsfähigkeit des Logistiksystems,
  • zielgerichtetes und wirtschaftliches Handeln über risikobasierte Ansätze,
  • Förderung eines branchenübergreifenden Verständnisses von Sicherheit,
  • vertrauensvolle Zusammenarbeit und strukturierter Dialog,
  • Verbesserung des Bewusstseins und Wissens der Akteure sowie
  • Fortsetzung und Ausbau der internationalen Zusammenarbeit.

Die Übersicht dieser Maßnahmen erscheint schlüssig und sinnvoll. Damit ist auch die grundsätzliche Stärke der Sicherheitsstrategie angesprochen: Sie greift ein Thema auf, das lange Zeit (auch von Unternehmen) vernachlässigt wurde und sensibilisiert Behörden, Unternehmen und auch die Öffentlichkeit für die Notwendigkeit, eine Strategie zum Schutz der logistischen Infrastruktur zu entwickeln und umzusetzen. Allein die Sensibilisierung und damit Aufwertung der Thematik werden für konkrete Maßnahmen auf staatlichen und privaten Ebenen sorgen.

Kritisch ist jedoch anzumerken, dass auch für die aufgeführten "Maßnahmen" das gilt, was für die gesamte Sicherheitsstrategie zu konstatieren ist: Die Erläuterungen sind weich und oft blumig formuliert und enthalten häufig Allgemeinplätze, die keinen weiteren Nutzen für den Leser aufweisen. An vielen Stellen ist erläutert, was entwickelt werden soll: Dies betrifft zum Beispiel eine "verkehrsträgerübergreifende Notfallplanung für Szenarien mit großer Tragweite" [BMVI, S. 9], eine "Informations- und Kommunikationsplattform" zur "Verbesserung der Kommunikation im Krisenfall" [BMVI, S. 10], die "angemessene institutionelle Einbettung" des Zusammenwirkens von staatlichen Stellen und Güterverkehrs- und Logistikwirtschaft [BMVI, S. 17] sowie einen "transparenten Prozess zur verkehrsträgerübergreifenden Bewertung der Kritikalität" in den oben genannten sechs Bereichen [BMVI, S. 20]. Konkrete Verantwortliche oder ein selbst grober Zeitplan sind aber nicht genannt. So wird zwar eine Stärkung der Widerstandsfähigkeit des Logistiksystems gefordert, aber es werden keine konkreten Maßnahmen definiert, wie dies erreicht werden soll. Das heißt, der Weg zum Ziel, das eigentlich Kernelement einer Strategie, wird im Wesentlichen ausgeblendet.

Einige der Aussagen zu Maßnahmen sind als sehr positiv anzusehen, weil sie – im Gegensatz zum Großteil der Strategie – konkret werden:

  • Das BMVI nennt explizit Informationsdefizite hinsichtlich verschiedener Fragestellungen, die für das Risikomanagement kritischer Infrastrukturen relevant sind [BMVI, S. 20]. Diese Informationsdefizite betreffen elementare Fragestellungen, ohne deren Beantwortung Sicherheitsmaßnahmen kaum fundiert zu treffen sind. So fehlen beispielsweise Informationen zu den kritischen Bereichen in internationalen Lieferketten, zu wichtigen Bedrohungen und zu auftretenden Folgen von signifikanten Störungen.
  • An einigen Stellen wird die derzeitige Situation hinsichtlich des Risikomanagements kritischer Infrastrukturen durchaus selbstkritisch reflektiert. So wird konstatiert, dass der Informationsfluss zwischen staatlichen Stellen und Privatwirtschaft, der beim Risikoeintritt wesentlich ist, in der Vergangenheit oftmals nicht geeignet war: "Zurückliegende Erfahrungen haben hier Verbesserungsbedarf gezeigt." [BMVI, S. 10] Auch die Vernetzung von Organisationseinheiten im Geschäftsbereich des BMVI sowie den vorhandenen Informationen und Kompetenzen werden explizit als nicht ausreichend bewertet: Sie seien "zu wenig im Sinne des umfassenden Themas des Schutzes kritischer Infrastrukturen […] vernetzt. Auch das Wissen […] anderer Ressorts ist stärker zu integrieren und zu nutzen." [BMVI, S. 16] Ebenso hat das BMVI erkannt, dass Kompetenzen zur Analyse und Prognose von Risiken fehlen: So sei "die Analyse- und Prognosefähigkeit des BMVI […] zu erhöhen." [BMVI,  S. 21] Diese offenen Worte zeigen, an welchen Stellen innerhalb des Geschäftsbereichs des BMVI sowie in der Zusammenarbeit mit anderen Institutionen Nachholbedarf besteht.
  • Kritisch wird auch der bisherige Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis gesehen, vor allem auf europäischer Ebene. Dabei wird ein "Verbesserungspotenzial" angesprochen, das durch ein Wissensmanagement zu laufenden Forschungsprojekten realisiert werden könne [BMVI, S. 14].
  • Das Thema Widerstandsfähigkeit von Infrastrukturen als Zielsetzung der Sicherheitsstrategie soll auch im neuen Bundesverkehrswegeplan berücksichtigt werden. Der Bundesverkehrswegeplan nimmt daher explizit Risikoaspekte auf [BMVI, S. 9].

Andere Aussagen müssen kritischer gesehen werden:

  • Die Strategie nennt als wichtige Kriterien für die Beurteilung der Relevanz von Risiken die Häufigkeit sowie die Konsequenzen von Ausfällen [BMVI, S. 9]. Dies mag nur für einen relativ geringen Anteil derjenigen Risiken sinnvoll sein, die im Rahmen der Sicherheitsstrategie eine Rolle spielen, und zwar für diejenigen mit einer höheren Eintrittswahrscheinlichkeit, wie beispielsweise einem Hochwasser auf Rhein oder Elbe. Es gilt für Risiken, die in der Vergangenheit bereits beobachtet wurden. Eine Vielzahl der Risiken, die im Dokument genannt werden, insbesondere solche, bei denen durch physische Gewalt Infrastruktur beschädigt wird, werden eine extrem geringe Eintrittswahrscheinlichkeit aufweisen, die möglicherweise kaum oder nur mit großer Unsicherheit berechenbar ist. Derartige außergewöhnliche Einzelereignisse werden als "Schwarze Schwäne" (Black Swans) bezeichnet. Es sind Ausreißer, die außerhalb des üblichen Bereichs der Erwartung liegen, da in der Vergangenheit nichts Vergleichbares geschehen ist [vgl. vertiefend Romeike/Spitzner 2013, S. 51]. Die Schwarze-Schwan-Illustration veranschaulicht eine schwerwiegende Beschränkung bei unserem Lernen durch Beobachtung oder Erfahrung und die Zerbrechlichkeit unseres (historischen) Wissens. Dies gilt zum Beispiel für Terrorangriffe, außergewöhnliche Naturkatastrophen oder große Finanzkrisen, aber auch für bestimmte Großrisiken durch Naturkatastrophen. Eine Berücksichtigung von Häufigkeit und/oder Eintrittswahrscheinlichkeit (die beide sehr gering sind und in der Regel nur sehr grob abgeschätzt werden können) kann bei der Beurteilung dazu führen, dass derartige Risiken als weniger relevant eingestuft werden. Die Folgen dieser Risiken sind aber erheblich, wie zum Beispiel der Terrorangriff am 11. September 2001 oder der Tsunami vor der japanischen Küste im Jahr 2011 zeigen. Dementsprechend sind Risiken mit derartig drastischen volks- und privatwirtschaftlichen Wirkungen auch bei einer sehr geringen Eintrittswahrscheinlichkeit zu berücksichtigen. Hierbei helfen vor allem Kreativitätsmethoden, etwa in Form einer Szenarioanalyse, eines Business Wargames oder einer stochastischen Simulation [vgl. hierzu vertiefend Romeike/Spitzner 2013].
  • Viele Allgemeinplätze verwässern die Aussage des Strategiepapiers. Ein Beispiel: "Der Grundstein für ein erfolgreiches Krisenmanagement ist die frühzeitige Abstimmung und Vernetzung der jeweiligen Ziele, Strukturen und Prozesse sowie der Fähigkeit und Mittel aller Akteure." [BMVI, S. 10] Diese Aussage ist zwar tendenziell richtig, ist aber viel zu allgemein, um als effektives Element einer Sicherheitsstrategie fungieren zu können. Besser wäre es gewesen, konkret die relevanten Akteure mit ihren Zielen, ihren Strukturen und ihren Prozessen sowie die benötigten "Fähigkeiten" zu nennen. Ein weiteres Beispiel: "Der Schlüssel [um mit Risiken für die Infrastruktur umzugehen] liegt in der Verlagerung der Sichtweise auf ein risikoorientiertes Vorgehen." [BMVI, S. 12] Im Endeffekt ist damit nichts anderes gemeint, als dass knappe Ressourcen zur Beibehaltung (oder Wiederherstellung) eines Sicherheitsstatus effizient eingesetzt werden sollen, d. h. für diejenigen Risiken, die als prioritär eingestuft werden. Dies wird noch weiter erläutert: "Risikoanalysen, bei deren Bewertung auch Kosten-Nutzen-Aspekte berücksichtigt werden sollen, sind als Entscheidungsgrundlage wichtige Voraussetzungen für eine abgeleitete Sicherheitskonzeption." [BMVI, S. 12] Wenn in der Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2015 diese Ansätze zu finden sind, stellt sich unweigerlich die Frage, auf welcher Basis bisherige Entscheidungen wohl getroffen wurden. Nicht weniger schwammig ist die Aussage, dass die zentrale Herausforderung für das BMVI sein wird, "die wesentlichen Informationen und Kompetenzen zu erkennen, miteinander zu vernetzen und neue Verwundbarkeiten zu ermitteln." [BMVI, S. 12]
  • Aus den oben angesprochenen expliziten Informationsdefiziten hinsichtlich elementarer Fragestellungen hätten konkrete Maßnahmen abgeleitet werden können und sollen. Die Sicherheitsstrategie bleibt hier allerdings erneut zu schwammig. So will das BMVI "im Zuge der Strategieumsetzung […] verkehrsträgerübergeifend die Kritikalität […] bewerten. […] Wissenschaft, Behörden und Branchenvertreter werden in den Prozess eng eingebunden. […] Im Wege der weiteren Umsetzung wird das BMVI vertiefte Erkenntnisse […] gewinnen." [BMVI, S. 20] Erneut lassen sich konkrete Aussagen vermissen – womit die Gefahr besteht, dass die elementare Aufgabe, die grundlegenden Informationen im Rahmen einer strukturierten Risikoanalyse zu erarbeiten, nicht, nur teilweise und/oder mit großer Verzögerung gelöst wird.

Sonstige Aspekte

Das im Internet verfügbare Dokument ist ausdrücklich "Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung". Es ist somit inhaltlich und gestalterisch für die Öffentlichkeit konzipiert worden. Es ist daher zu vermuten, dass zwar viele weitere Informationen vorhanden sind (auch zu Meilensteinen der Umsetzung), dass diese jedoch nicht veröffentlicht wurden. Die Gestaltung ist leserfreundlich, unter anderem durch die Nutzung von Bildmaterial, das jedoch keinen inhaltlichen Mehrwert bietet, sondern rein als "Auffrischung" des Textes fungiert. Die eigentlichen Kernaussagen des Strategiepapiers hätten problemlos auf einer Seite zusammengefasst werden, ohne dass die Aussagen inhaltlich reduziert werden müssen.

Fazit

Die Anfang 2015 veröffentlichte "Sicherheitsstrategie" ist ein Dokument, das grundsätzlich in die richtige Richtung zielt. Es sensibilisiert vor allem staatliche Behörden sowie Logistikunternehmen und ihre Verbände für das Risikomanagement kritischer Infrastrukturen. Es zeigt damit die Bedeutung auf, die ein derartiges Risikomanagement für die Volkswirtschaft, aber auch die Güterverkehrs- und Logistikbranche hat. Diesen zu lobenden Zweck erreicht das Dokument – unter anderem auch dank blumiger Formulierungen. Diese leiten allerdings auch unmittelbar zur Kritik über. So ist – bis auf wenige Ausnahmen – die Sicherheitsstrategie eine Aneinanderreihung von Allgemeinplätzen und schwammiger, weil kaum konkreter Aussagen. Der praktische Nutzen ist gering. Konkret wird das Dokument nur an wenigen Stellen, an denen Selbstkritik hinsichtlich geringer Vernetzung sowie fehlender Kompetenzen geäußert wird.

Als Leser hätte man schon im Vorwort der Staatssekretärin hellhörig werden müssen, als einschränkend darauf hingewiesen wurde, dass es gerade nicht um einen Maßnahmenkatalog ginge. Damit bleibt als Ergebnis nur die Sensibilisierung für die Bedeutung der Thematik. Ein selbst nur grober Zeitplan, in dem Maßnahmen in Verbindung mit verantwortlichen und/oder involvierten Akteuren gebracht werden, hätte einen Anhalt gegeben, wie der Sicherheitsstatus kritischer Infrastrukturen erhalten und gesteigert werden kann. Dabei geht es nicht um Details, die möglicherweise auch vertrauliche Informationen beinhalten. Vielmehr geht es um die Meilensteine, mit denen der Weg zu einer (noch) höheren Sicherheit gegangen wird. Die Chance, einen derartigen Weg aufzuzeigen, wurde allerdings mit der vorliegenden "Sicherheitsstrategie" verpasst.

Quellenverzeichnis sowie weiterführende Literaturhinweise:

Bea, F. X./Haas, J. [1997]: Strategisches Management, 2. Auflage, Lucius und Lucius, Stuttgart 1997.

Bundesministerium des Innern [2009]: Nationale Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen (KRITIS-Strategie), (2009). Zugegriffen am 23. Januar 2015. Download

BMVI, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur [2015a]: Bär legt Sicherheitsstrategie für Güterverkehr- und Logistikwirtschaft vor. Zugegriffen am 21. Januar 2015. Download

BMVI, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur [2015b]: Sicherheitsstrategie für die Güterverkehrs- und Logistikwirtschaft – Schutz kritischer Infrastrukturen und verkehrsträgerübergreifende Gefahrenabwehr. Zugegriffen am 21. Januar 2015. Download

Huth, M./Romeike, F. [2015]: Risikomanagement in der Logistik, Springer Verlag, Wiesbaden u.a. 2015 [erscheint im dritten Quartal 2015].

Pfohl, H.-C. [2010]: Logistiksysteme – Betriebswirtschaftliche Grundlagen, 8. Auflage, Springer Verlag, Heidelberg u.a. 2010.

Romeike, F./Spitzner, J. [2013]: Von Szenarioanalyse bis Wargaming – Betriebswirtschaftliche Simulationen im Praxiseinsatz, Wiley Verlag, Weinheim 2013.

Autoren

Prof. Dr. Michael Huth ist Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Logistik, an der Hochschule Fulda.

Frank Romeike ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des Kompetenzportals RiskNET sowie verantwortlicher Chefredakteur des Fachmagazins RISIKO MANAGER.

[Quelle: Der Artikel ist in Ausgabe 04/2015 der Zeitschrift RISIKO MANAGER erschienen. Huth, M./Romeike, F.: Schutz kritischer Infrastrukturen und verkehrsträgerübergreifende Gefahrenabwehr, in: RISIKO MANAGER, Ausgabe 04/2015, S. 10-13]

[ Bildquelle Titelbild: © Nightman1965 - Fotolia.com ]
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