Cash-Flow-at-Risk-Modelle zur Liquiditätssimulation

RiskNET Kolumne: Krisenfeste Liquiditätssicherung in Unternehmen


Die Gefahr, dass ein Unternehmen zu einem Zeitpunkt nicht in der Lage sein könnte, seinen ordnungsgemäßen Zahlungsverpflichtungen fristgerecht und im vollen Umfang zu entsprechen, ist in den vergangenen zwölf Monaten deutlich gestiegen. Die Finanzmarktkrise entwickelt sich zu einer Wirtschaftskrise.

Die tägliche und langfristige Liquidität eines Unternehmens ist die wichtigste Voraussetzung für die Fortführung eines Unternehmens (Going Concern). Neben der Bonität (Kreditwürdigkeit) eines Unternehmens ist die Diversifikation von Finanzierungsquellen und -fristen ein wichtiger Baustein für die Sicherstellung der Liquidität. Ausgehend von der Unternehmensbilanz können auf der Passivseite die Verbindlichkeiten geordnet nach den Fälligkeiten abgelesen werden. In der Historie wurden hierzu verschiedene am Bestand orientierte Vermögens- und Kapitalstrukturkennzahlen abgeleitet. Beispielsweise setzt der Anlagendeckungsgrad I das Eigenkapital in Relation zum Anlagevermögen. So wird gemessen, ob das langfristige gebundene Kapital durch langfristig zur Verfügung stehende Mittel gedeckt ist (auch goldene Finanzierungsregel). Auf ähnliche Weise können weitere handelsrechtlich orientierte Kennzahlen wie etwa die Liquidität 1., 2. und 3. Grades, die Forderungsintensität, der Verschuldungsgrad, die Umschlagsdauer der Vorräte und viele andere ermittelt werden.

Ursachen von Liquiditätsengpässen können neben einer mangelnden Kapitalausstattung und Absatzeinbrüchen insbesondere in der Zahlungsmoral von Kunden begründet sein. Verzögerungen beim Ausgleich von Forderungen oder gar der Totalausfall führen häufig zu in einer Kettenreaktion zu Zahlungsschwierigkeiten beim Lieferanten selbst. Ein aktuelles Beispiel hierfür bieten die mittelständischen Zulieferbetriebe der Automobilindustrie, die mit besonders langen Zahlungszielen arbeitet.

Cash-Flow-at-Risk-Modelle simulieren die kurz- bis mittelfristige Liquidität

In moderneren Ansätzen wird versucht, die zukünftige Liquidität eines Unternehmens neben der Analyse von Vergangenheitsdaten, der aktuellen Bestandsdaten und ergänzenden qualitativen Einschätzungen über das künftige Ertragspotenzial eines Unternehmens zu schätzen. Dabei empfiehlt sich der Einsatz quantitativer Risiko-Modelle, die dazu beitragen, zukunftsorientierte Ertrags- und Aufwandsschätzungen mit Eintrittswahrscheinlichkeiten zu unterlegen. Die Basis aller Liquiditätsüberlegungen bildet der Zahlungsstrom von Ein- und Ausgaben. Hierdurch lassen sich bestandsgefährdende Entwicklungen frühzeitig erkennen, so dass genügend Zeit für Sicherungsmaßnahmen verbleibt.

Mit Hilfe der Finanzierungsstruktur und der zukünftigen Kapitalabflüsse auf Grund von Fälligkeitsterminen für die Rückzahlung aufgenommener Kredite kann ein wichtiger Teil des gesuchten Zahlungsstroms aufgestellt werden, der noch um Einnahmen und Ausgaben aus dem operativen Geschäft zu ergänzen ist. Im Gegensatz zu Zins- und Tilgungszahlungen sind aber die Einnahmen und Ausgaben aus dem operativen Geschäft hinsichtlich Umfang und Termin unsicher. Die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben können von den geplanten Werten abweichen. Hier bietet sich der Einsatz eines Cash-Flow-at-Risk-Modells an. Ziel ist es, die kurz- bis mittelfristige Liquidität eines Unternehmens auf Basis dieser Größen zukunftsorientiert zu simulieren und so die vergangenheitsbezogene Auswertung der Finanz- und Ertragslage eines Unternehmens zu ergänzen.

Sichere und unsichere Cash Flows

Im Cash-Flow-at-Risk-Modell wird zwischen sicher fließenden Cashflows (deterministisch) wie etwa den Ausgaben für Löhne und Gehälter, Mieten, Einnahmen aus Lizenzvergabe und erwarteten Cash Flows (stochastisch, mit Unsicherheit behaftet), wie beispielsweise den Ausgaben für Rohstoffeinkauf und Umsatzerlöse, unterschieden. Beide Komponenten, die sichere und die volatile, lassen sich in der Zukunftssimulation, wie in Abbildung 1 dargestellt, berücksichtigen. Zusätzlich können Trends und saisonale Schwankungen in das Modell eingebunden werden.

Abbildung 1: Sichere versus unsichere Zahlungsströme 
Abbildung 1: Sichere versus unsichere Zahlungsströme

In einem ersten Schritt sind im Rahmen einer Risikoinventur die für die Liquidität des Unternehmens relevanten Risiko-Faktoren zu ermitteln und zu quantifizieren. Anschließend muss mit Hilfe von  Zeitreihenanalysen beurteilt werden, ob sich die einzelnen Risiko-Faktoren durch geeignete Verteilungsannahmen hinreichend genau beschreiben lassen. Einige Risikofaktoren, wie beispielsweise die zukünftige Konjunkturentwicklung, sind schwieriger zu modellieren (wie die jährlichen Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute beweisen), andere einfacher. Für die Modellbildung gilt: Theoretisch ist vieles denkbar, praktisch aber (noch) nicht alles realisierbar. Daher sollte der Planungshorizont, das heißt die Zeitdauer der Prognose, eher kürzer gewählt werden (bis maximal 24 Monate). Wie bei allen Vorhersagen nimmt die Güte einer Risiko-Prognose mit der Verlängerung des Prognosehorizonts ab. Im Beispiel wird daher ein Prognosehorizont von zwölf Monaten gewählt. Alle identifizierten Abhängigkeiten zwischen Marktpreisen und Mengen, Kosten der Produktion und des Vertriebs, Finanzierungskosten und sonstige Risikofaktoren werden in einem Tabellenkalkulationsprogramm verknüpft, um so die Cash Flows der geplanten zwölf Monate simulieren zu können (vgl. Abbildung 2).
 
Abbildung 2: Schema der Budget, Cashflow oder EBIT at Risk Berechnung
Abbildung 2: Schema der Budget, Cashflow oder EBIT at Risk Berechnung


Szenarien potenzieller Zukunftspfade

Mit dieser Risikoprognose kann das Unternehmen prüfen, ob der beispielsweise mit 95 Prozent Wahrscheinlichkeit mindestens zu erwartende Cash Flow ausreicht, um die im Jahresverlauf entstehenden Kosten zu decken. In Abbildung 3 werden exemplarisch drei Kostenpositionen mit von dem Cash Flow abgezogen, woraus ein Deckungsbeitrag von 210.500 EUR resultiert. Dieser Deckungsbeitrag wird im Beispiel mit 95 Prozent Wahrscheinlichkeit nicht unterschritten. Reicht dem Unternehmen der im Risikoszenario ermittelte Deckungsbeitrag nicht aus, dann werden Absicherungsmaßnahmen gegen eine negative Entwicklung der Marktpreise und des Wechselkurses notwendig.
 
Abbildung 3: Implementierung des CFaR in die betriebliche Planung
Abbildung 3: Implementierung des CFaR in die betriebliche Planung


Mit Hilfe der Empirischen Verteilungsfunktion aus den simulierten Werten können Wahrscheinlichkeiten für die Deckung der einzelnen Kostenpositionen ermittelt werden. Mit fast 100 Prozent Wahrscheinlichkeit sind die anteiligen Lohnkosten gedeckt (450.000 EUR). Mit 99,80 Prozent Wahrscheinlichkeit werden zusätzlich auch die Betriebskosten gedeckt sein (450.000 + 280.000 EUR). Und mit fast der gleichen Wahrscheinlichkeit (99,70 Prozent) werden auch zusätzlich die Fremdkapitalzinsen verdient. Der Deckungsbeitrag von 210.500 EUR wird mit 95 Prozent Wahrscheinlichkeit erreicht. Die Wahrscheinlichkeit für einen Deckungsbeitrag von zum Beispiel 500.000 EUR oder mehr beträgt jedoch nur knapp 24 Prozent. Und nur mit ein Prozent Wahrscheinlichkeit wird der Deckungsbeitrag mehr als 650.000 EUR betragen.

Diese Eckwerte helfen der Unternehmensleitung einzuschätzen wie realistisch die eigene Planung im Vergleich zu den aktuellen Marktvolatilitäten ist. Sollte der geplante Deckungsbeitrag durch volatile Marktpreise signifikant gefährdet sein, ist bei einem Planungshorizont von zwölf Monaten ein frühes Eingreifen noch möglich. Methoden wie der Cash Flow at Risk unterstützten das Management bei der Unternehmensplanung in guten wie in schlechten Zeiten und sollten nicht nur als Rettungsanker in Krisenzeiten angesehen werden. Neben der Verbesserung der Qualität von eigenen Entscheidungen dienen diese Analysen auch der Unterstützung bei Kreditverhandlungen mit externen Kapitalgebern und können ein wichtiger Baustein für das Projektrisikomanagement bei Großaufträgen sein.


Die Methodik wird ausführlich dargestellt in:

  • Romeike / Hager (2009): Erfolgsfaktor Risiko-Management 2.0., Methoden – Beispiele – Checklisten, Wiesbaden 2009 (erscheint im II/III Quartal 2009), ISBN-13: 978-3834908957.




Das RiskNET-Intensiv-Seminar "Chancen-/Risikomanagement in Industrie und Handel: Schritt für Schritt professionell umsetzen" beschäftigt sich ausführlich mit modernen, quantitativen (und auch qualitativen) Methoden im Risikomanagement. Weitere Informationen hier

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2. April 2009 >> München/Schloß Hohenkammer
12. November 2009 >> München/Schloß Hohenkammer

 


Autor:

Dr. Peter Hagerist seit dem Jahr 2000 Redakteur bei RiskNET und betreut vor allem das Themengebiet "Quantitative Methoden". Gemeinsam mit Frank Romeike führt er seit vielen Jahren Intensiv-Seminare zum Thema "Chancen-/Risikomanagement in Industrie und Handel: Schritt für Schritt professionell umsetzen" durch.



Kommentare zu diesem Beitrag

Pinnokio /04.03.2009 08:58
Hilft mir die Aussage, dass ich mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,7 Prozent die Fremdkapitalzinsen verdienen werde, wirklich weiter. Dummerweise fahre ich mit 0,3 Prozent Restrisiko in den Abgrund. Und niemand kann mir sagen, ob das vielleicht bereits morgen passiert. Viel wichtiger ist doch meines Erachtens das Denken in potenziellen Szenarien, aus denen ich dann meine Entscheidungen ableite.
Robert /04.03.2009 09:32
Sehr geehrter Herr Dr. Hager, wie können sinnvollerweise Korrelationen abgebildet werden. Verliert man bei einer großen Anzahl von Einflussgrößen nicht schnell den Überblick. Können Sie mir pragmatische Ansätze/Methoden zur Abbildung von Korrelationen nennen?
Peter Hager /04.03.2009 12:30
@Pinnokio:
Absolut richtig, Prognosen sind mit Unsicherheit verbunden. Insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen :-) Nein, die restliche Unsicherheit bleibt immer bestehen, egal ob Szenarioanalyse mit drei Szenarien (best, normal, worst) oder mit 10.000 Szenarien (Häufigkeitsverteilung).

Der Cash Flow at Risk ist nicht an eine Szenarioanalyse mit 10.000 oder mehr Szenarien gebunden. Das komplette Konzept lässt sich auch mit nur 3 Szenarien rechnen. Dann gibt es eben statt einer Wahrscheinlichkeitsaussage die Information wie sich der Cash Flow vom geplanten Wert im best, normal oder worst case unterscheidet. Die Prognosegüte bei ausgewählten Szenarien muss aber nicht besser sein als in einer Simulation mit vielen Tausend Szenarien. Denn die best, normal und worst case Szenarien sind entweder aus der Historie abgeleitet oder subjektiv gewählt.

@Robert:
Korrelationen sind der am schwersten zu schätzende Parameter in dem Modell. Davon abgesehen ist diese Größe im Zeitablauf sehr instabil, was die Prognose auf 12 oder 24 Monate nicht besser macht. Zu der Ermittlung der Korrelationen könnte man eine eigene Abhandlung schreiben. In der Praxis muss eine Rundung von exakt gerechneten Korrelationen auf die Werte -1; -0,5; 0; 0,5 und 1 nicht das Verkehrteste sein. Insbesondere ist dann aber zu berücksichtigen, dass viele Korrelationen sich im Risikofall anders verhalten als unter normalen Umweltbedingungen. Insofern wäre dann auch ein "correlation breakdown" in der Risikosimulation zu berücksichtigen.
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