Experteninterview

Menschen haben eine Aversion sich mit Risiken zu befassen


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In einer weltweit durchgeführten Studie wurden 350 Manager aus Banken und Versicherungen zum Thema Risk Management befragt. 70 Prozent der Finanzprofis gaben an, dass die jetzt spürbaren Auswirkungen der Finanzkrise mit Lücken im Risikomanagement zusammenhängen. Die Kreditkrise bewegt etwa 60 Prozent der Befragten dazu, ihre Risikomanagement-Prozesse zu hinterfragen und in der Folge zu verbessern. Bei 71 Prozent der befragten Unternehmen sind zwar Strategien für ein Risk Management ausgearbeitet, doch bisher nur unvollständig in die Tat umgesetzt worden. Somit wird deutlich, dass Risikomanager in den nächsten Jahren viel zu tun haben werden.

Eine seriöse Analyse der Finanzkrise muss auch zu dem Ergebnis kommen, dass sowohl die Methoden des Risk Managements als auch die Anreizsysteme einen zu sorglosen Umgang mit Risiken gefördert haben. In vielen Häusern waren die Instrumente und Werkzeuge zur Bewertung und Steuerung von Risiken zwar vorhanden – allerdings wurden die Informationen in der strategischen Unternehmenssteuerung nicht verwendet, oder die Limitsysteme wurden so justiert, dass die rote Ampel schnell wieder grün war. Eine ganz wesentliche Ursache für die aktuelle Krise liegt darin, dass das Grundprinzip einer wertorientierten Unternehmensführung verletzt wurde, nämlich das Abwägen der erwarteten Rendite und der Risiken.Mit Werner Gleißner, Vorstand der FutureValue Group AG und Leiter der Risikoforschung der Marsh GmbH, sprachen wir über den aktuellen Stand und die Zukunft des Risikomanagements in Unternehmen.


>> Warum ist Risikomanagement gerade jetzt wieder ein aktuelles Thema?

<< Werner Gleißner: Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat gezeigt, dass die Fähigkeiten von Unternehmen zur Quantifizierung und Bewältigung von Risiken verbesserungswürdig sind.

>> Warum sollten sich Unternehmen mit einem Risikomanagement auseinandersetzen?

<< Werner Gleißner: Risikomanagement kann einen Beitrag leisten, die Wahrscheinlichkeit und die Auswirkungen von Unternehmenskrisen zu mindern. Durch die Quantifizierung und Aggregation von Risiken kann beispielsweise ermittelt werden, ob der (aggregierte) Gesamtrisikoumfang, der risikobedingte Eigenkapitalbedarf, durch die Risikotragfähigkeit des Unternehmens abgedeckt ist. Mit Informationen des Risikomanagements können beispielsweise die Fragen beantwortet werden, mit welcher Wahrscheinlichkeit bestehende Kreditvereinbarungen (Covenants) verletzt werden oder ein vorgesehenes Mindest-Rating unterschritten wird. In dieser Weise trägt Risikomanagement zur Krisenfrühdiagnose bei und kann zeigen, durch welche unternehmerischen Maßnahmen der zukünftige Erfolg eines Unternehmens noch besser abgesichert werden kann.

>> Welchen Herausforderungen müssen sich Unternehmen heute beim Thema Risikomanagement stellen?

<< Werner Gleißner: Zunächst ist es in vielen Unternehmen noch erforderlich, ausgehend von quantifizierten Einzelrisiken, den aggregierten Gesamtrisikoumfang, beispielsweise ausgedrückt im risikobedingten Bedarf an Eigenkapital, zu berechnen. Bei der hierzu notwendigen Aggregation der Risiken im Kontext der Planung wird mittels einer sogenannten Monte-Carlo-Simulation eine große repräsentative Anzahl risikobedingt möglicher Zukunftsszenarien des Unternehmens berechnet, um so auf die realistische Bandbreite der zukünftigen Gewinne zu schließen. Mehr Risiko führt zu einer höheren Planungsunsicherheit und potenziell höheren Verlusten, was einen höheren Bedarf an Eigenkapital zur Abdeckung der Risiken nach sich zieht. Die Berechnung einer risikogerechten Finanzierungsstruktur und die Verbesserung von Planungssicherheit erfordern alle eine Aggregation der Einzelrisiken.

Zum anderen ist es erforderlich, Risikoinformationen konsequenter zu nutzen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei, dass bei wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen – beispielsweise einer Akquisition oder Sachinvestition – die zu erwartenden Erträge und die Risiken gegeneinander abgewogen werden. Dies ist neben der konsequenten Zukunftsorientierung eine Kernidee des wertorientierten Managements, und entsprechend kann und sollte das Risikomanagement zu einem Eckpfeiler der wertorientierten Unternehmensführung hin entwickelt werden.

Die Grundidee ist einfach: bessere Risikoinformationen tragen zu besseren unternehmerischen Entscheidungen bei. Und in die Praxis umsetzen lässt sich diese Grundidee beispielsweise dadurch, dass Kapitalkostensätze bzw. Renditeanforderungen aus den Informationen über die Risiken abgeleitet werden, die Planabweichungen auslösen können – ein hilfsweiser Rückgriff auf oft nicht repräsentative oder gar nicht vorhandene historische Kapitalmarktdaten ist bei der Bestimmung von Kapitalkostensätzen dann nicht mehr nötig.

>> Ist Risikomanagement nicht primär eine Frage der Unternehmensstrategie oder Unternehmenskultur?

<< Werner Gleißner: Risikomanagement ist eine Querschnittsaufgabe im Unternehmen und eben nicht nur die Aufgabe einer Fachabteilung. Sinnvoll ist daher die Entwicklung eines wert- und risikoorientierten Unternehmensführungsansatzes, was nur durch die Verknüpfung vom traditionellen Risikomanagement mit Controlling, Planung und auch Qualitätsmanagement zu erreichen ist. Es ist tatsächlich eine Frage der Unternehmenskultur, inwieweit risikobewusst gehandelt wird, und insbesondere Erträge und Risiken bei Entscheidungen berücksichtigt werden.

Und selbstverständlich ist die Risikopolitik, die Grundsätze im Umgang mit Risiken formuliert, ein zentraler Bestandteil der Unternehmensstrategie. Gerade die Wirtschafts- und Finanzkrise hat gezeigt, wie wichtig "robuste Unternehmensstrategien" sind. Und solche robusten Unternehmensstrategien zeichnen sich beispielsweise durch Flexibilität, den konsequenten Ausbau von Kernkompetenzen und eine ausreichende Risikotragfähigkeit aus.

>> Welche Rolle spielt die IT-Unterstützung des Risikomanagements?

<< Werner Gleißner: IT-Lösungen können helfen, Risiken kontinuierlich zu identifizieren, zu überwachen und zudem das Risiko-Reporting zu unterstützen. Unverzichtbar ist eine geeignete IT bei der oben erläuterten Aggregation von Risiken, da dies die Verknüpfung von quantitativen Risikoinformationen mit traditioneller Planung erfordert und Simulationsrechnungen unumgänglich macht. Möglich ist eine derartige Aggregation von Risiken beispielsweise im Rahmen eines Tabellenkalkulationsprogramms mit ergänzender Simulationssoftware oder in speziellen Softwaresystemen, die eine Aggregation von Risiken im Kontext der Planung ermöglichen. Derartige IT-Lösungen verbinden Risikomanagement mit einer integrierten Unternehmensplanung zu sogenannten "stochastischen Planungsmodellen".

>> Wie schätzen Sie den derzeitigen Stand des Risikomanagements in der Praxis ein?

<< Werner Gleißner: Das Risikomanagement der meisten, selbst der großen Unternehmen ist noch erheblich verbesserungswürdig. Bestimmte Risikokategorien, wie speziell makroökonomische Risiken, werden noch vernachlässigt. Oft werden auch Risiken nicht aggregiert, und vor allen Dingen werden Risikoinformationen noch nicht konsequent genug für unternehmerische Entscheidungen genutzt.

Die einseitige Orientierung an der geplanten Rendite bei Entscheidungen ist noch immer eine häufig zu sehende Praxis, die der Idee einer risiko- und wertorientierten Unternehmensführung widerspricht. Auch die Kenntnisse, wie man Risiken quantifiziert, auch unter Berücksichtigung von subjektiven Risikoinformationen und bei schlechter Datenlage, sind noch nicht sehr verbreitet.

>> Wie wird sich das Risikomanagement in Zukunft verändern?

<< Werner Gleißner: Es ist bekanntlich gerade das charakteristische einer Zukunftsprognose, dass man hier keine Sicherheit erhält. Zukünftige Entwicklungen kann man nur in Korridoren und Szenarien beschreiben. Dies gilt natürlich auch für Prognosen bezüglich des Risikomanagements selbst. Da die Fähigkeiten eines Unternehmens im Umgang mit Risiken einen Wettbewerbsvorteil darstellen, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass mit einer nur schwer prognostizierbaren Geschwindigkeit die Risikomanagementsysteme der Unternehmen in ihrer Leistungsfähigkeit verbessert werden. Kenntnisdefizite, persönliche Interessen mancher Entscheidungsträger und auch die in der psychologischen Forschung bekannte Aversion von Menschen, sich mit Risiken zu befassen, dürften aber den Ausbau des Risikomanagements in vielen Unternehmen auch weiter hemmen. Die Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Stand der Risikomanagementfähigkeiten von Unternehmen und dem, was wirtschaftlich sinnvoll und möglich ist, ist bedauerlicherweise noch sehr groß.



Dr. Werner GleißnerInterview mit Dr. Werner Gleißner, Vorstand der FutureValue Group AG und Leiter der Risikoforschung der Marsh GmbH sowie Lehrbeauftragter an den Universitäten Dresden, Hohenheim und Stuttgart sowie an der European Business School.


[Bildquelle oben: iStockPhoto, Bildquelle unten: Future Value Group AG]



Kommentare zu diesem Beitrag

Zangorra /26.07.2011 22:15
<< Werner Gleißner: Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat gezeigt, dass die Fähigkeiten von Unternehmen zur Quantifizierung und Bewältigung von Risiken verbesserungswürdig sind.>>

Stimmt auffallend, schon mal den eigenen Laden bei www.Unternehmensregister.de angeschaut?
Panzerknacker /06.07.2010 22:44
"Die Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Stand der Risikomanagementfähigkeiten von Unternehmen und dem, was wirtschaftlich sinnvoll und möglich ist, ist bedauerlicherweise noch sehr groß."

=> WARUM??? Sehe da kein Problem drin...

Risikomanagement ist doch kein Selbstzweck. Nach dem ökonomischen Prinzip werde ich als Unternehmer so viel Risikomanagement betreiben wir tatsächlich nötig und für mich sinnvoll oder hilfreich ist (aber das muss ich dann tatsächlich tun) und nicht so viel wie theoretisch möglich ist. Bin doch keine defizitäre Uni...
christian /08.07.2010 08:33
Das Dumme an der Sache ist halt, dass ich in Aktivitäten investiere, bei denen ich nicht sofort einen ROI berechnen kann. Die meisten Unternehmen erkennen erst im Ernstfall, dass sie es versäumt haben in ihr Risikomanagement zu investieren (sh. BP, siehe diversen Banken und die Versicherer nach der Neuen-Markt-Krise. Erst die Unternehmen, die am Abgrund standen investieren in das Thema. Und hierbei müssen tatsächlich dann auch ökonomische Prinzipien im Vordergrund stehen. Und richtig @Panzerknacker, Risikomanagement darf kein Selbstzweck sein (wird dummerweise von vielen Risikomanagern anders gesehen) und muss in andere Unternehmensprozesse integriert werden (vor allem die strategische Steuerung).
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