Kleines Risiko – großer Effekt

Einschlag von Phantomrisiken bei Siemens


Kleines Risiko – großer Effekt: Einschlag von Phantomrisiken bei Siemens Comment

Die Wahrnehmung von Risiken ist eine höchst subjektive Angelegenheit. Was für den Einen ein Risiko ist, braucht für den Anderen noch lange keines zu sein. Diese höchst subjektive Bewertung von Risiken wird beispielsweise bei der Bewertung von Klimarisiken deutlich. So treffen Klimaskeptiker und -verweigerer ("Klimawandel ist eine Lüge!") auf  Klima-Hysteriker ("Das Ende der Welt ist nahe!") und -Aktivisten. Die höchst subjektive Bewertung erfolgt nicht auf Fakten, sondern vielfach auf Emotionen. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden entweder komplett ausgeblendet oder zu eigenen Zwecken so zurechtgebogen, dass sie ins eigene "Weltbild" passen.

So verstehen wir bis heute nur sehr wenig, vom Epizentrum des Klimawandels, nämlich den Veränderungen in der Arktis. Das ist eine der Gründe für die aktuelle Expedition MOSAiC (Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate) des Forschungsschiffs "Polarstern". Kein anderer Teil unseres Planeten wird so schnell wärmer wie die Arktis. Und aufgrund der fehlenden Daten und der Unsicherheit über die komplexen Wirkungszusammenhänge arbeiten alle Klimamodelle mit riesigen Unsicherheiten in der Klimaprognose. Daher können bei der Bewertung nicht alle relevanten Einflussfaktoren berücksichtigt werden. Vielmehr dominieren Emotionen und Angst über die Entscheidung, ob etwas als Risiko bewertet wird oder nicht. Doch Angst und Emotionen sind nur schlechte Ratgeber für eine objektive Bewertung von Risiken.

In Zeiten größter Unsicherheit sind diejenigen schlecht beraten, die den Kopf in den Sand stecken und vor Angst gelähmt sind. Den wer von Angst regiert wird, dann ist nur noch wenig Freiheit und Weitblick da. Es bringt das Leben zum Stillstand. Und es bringt keine Transparenz auf die Landkarte der Risiken. Und Unsicherheit verunsichert. Sie frisst sich in die Köpfe und verhindert Entscheidungen. Und Unsicherheit befördert Unsicherheit. Ein kritischer Teufelskreis, der nur wenig zur Lösung aktueller Herausforderungen beiträgt.

Josef Käser (Vorstandsvorsitzender der Siemens AG; nennt sich lieber Joe Kaeser, da sein eigentlicher Name wohl zu kleinbürgerlich klingt) hat Recht, wenn er darauf hinweist, dass Proteste allein noch keine Lösung brächten. "Wer sich dem Dialog und der Mitarbeit an Lösungen verweigert, verliert das moralische Recht zu diskreditieren", sagt Kaeser. Die Lösung für viele Probleme sind im Verhalten jedes einzelnen Menschen zu finden. Wir selbst müssen uns verändern, wenn wir beispielsweise Unternehmen oder auch die Landwirte dazu bewegen möchten, dass diese sich verändern. Denn sowohl Unternehmen als auch Landwirte reagieren auf die Nachfrage ihrer Kunden. Wenn wir beispielsweise bestimmte Haltungsformen bei Tieren bevorzugen, werden die Landwirte darauf reagieren und ihr Angebot anpassen. Dieser Effekt wird von vielen Aktivisten leider ausgeblendet. Der Ruf nach Regulierung (durch die Politik) oder die Kritik an Unternehmenslenkern ist hier scheinbar der einfachere Weg.

Ein kleines Risiko mit einem großen Effekt

Siemens-Vorstand Kaeser hat in der Zwischenzeit eingeräumt, beim umstrittenen Auftrag zur Lieferung von Signaltechnik für die Bahnstrecke zur australischen Kohlemine des indischen Adani-Konzerns "das gesamte Bild dieses Auftrages nicht rechtzeitig gesehen" zu haben. Insbesondere hat das Risikomanagement die Wirkungen diese scheinbar nicht existierenden Risiko hinsichtlich der Wirkung nicht angemessen antizipiert. Aus einem nicht existieren Risiko wurde ein Phantomrisiko.

Siemens ist wegen dieses mit einem Volumen von 18 Millionen Euro kleinen Auftrages seit Wochen Zielscheibe der Kritik von Umweltschützern und Klimaaktivisten. Einige von ihnen, darunter auch Vertreter der Jugendbewegung Fridays for Future, wollen auf der nächsten  Hauptversammlung das Wort ergreifen.

Kaeser hält an dem Auftrag fest, auch um den Ruf von Siemens als verlässlicher Vertragspartner zu erhalten. Gegen seine Entlastung liegen acht Anträge vor, die aber kaum Chancen haben dürften. Kaeser rief die Klimaaktivisten dazu auf, bei der Grundsatzkritik nicht stehen zu bleiben.

Phantomrisiken resultieren aus Skepsis und Bedenken ohne wissenschaftliche Fundierung

Phantomrisiken resultieren daher vor allem aus der gesellschaftlicher Ungewissheit und einer individuellen Risikowahrnehmung. Phantomrisiken tauchen dort auf, wo die Technikbegeisterung der Industriegesellschaft in Skepsis und Bedenken umschlägt. Obwohl häufig nicht wissenschaftlich nachweisbar, werden bei neuen Technologien, Materialien, Produkten oder Produktionsweisen gesundheits- und umweltschädigende Wirkungen vermutet. Und obwohl es sich nur um einen vagen Verdacht handelt, sind Phantomrisiken real: Sie manifestieren sich unter anderem in Angst, psychosomatischen Störungen, Gerichtsurteilen und neuen Gesetzen, aber auch in Schadensersatzforderungen, Umsatzrückgängen und Reputationsschäden.

Dieser Prozess zur Entstehung von Phantomrisiken wird vor allem von den Medien, der Politik und vielen Interessengruppen beeinflusst. Die vielfältigen Interessenlagen und Perspektiven machen eine objektive Quantifizierung hinsichtlich Relevanz und Konsequenzen praktisch unmöglich.

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Kommentare zu diesem Beitrag

RiskNET Redaktion /05.02.2020 12:37
+++ Siemens-Chef: In Adani-Debatte kann man nicht gewinnen +++

Siemens-Chef Joe Kaeser hat in der Debatte um den umstritten Signaltechnik-Auftrag für die geplante Adani-Kohlemine in Australien Fehler in der Kommunikation eingeräumt, angesichts des Ausmaßes der Proteste von Klimaaktivisten aber eine ernüchterndes Zwischenfazit gezogen. "Bei solchen Themen kann man nicht gewinnen", sagte Kaeser vor der Hauptversammlung in der Münchner Olympiahalle. Vor dem Veranstaltungsort protestierten einige Dutzend Aktivisten gegen das Projekt. Die Fridays-for-Future-Bewegung will auch auf der Hauptversammlung in der Halle sprechen.

Der Anspruch der Umweltschützer sei ein legitimer, aber sie hätten keine Lösungen zu bieten, sagte Kaeser. Siemens ist mit der Lieferung der Signaltechnik für die Zugstrecke, auf der die Kohle zum Hafen transportiert werden soll, nach seinen Worten nur in dritter Reihe an dem Projekt beteiligt. "Und die Frage ist ja, wo hört das auf", sagte Kaeser.

Kaeser warf den Klimaschützern vor, sie wollten ihr Geschäftsmodell des Aktivismus schützen und seien deshalb nicht bereit, an konkreten Lösungen für den langsamen Verzicht auf fossile Brennstoffe mitzuarbeiten.
RiskNET Redaktion /05.02.2020 16:46
+++ Aktionäre kritisieren Siemens-Chefs für Handling des Adani-Projektes +++

Aktionärsschützer und Fondsmanager haben die Konzernführung von Siemens für den Umgang mit dem Signaltechnikauftrag für die Carmichael-Kohlemine in Australien kritisiert, sehen jedoch keinen Grund dafür, dem Vorstand deshalb die Entlastung zu verweigern. "Klar ist: Der Fall Adani war ein kommunikatives Desaster", sagte Portfoliomanagerin Vera Diehl von Union Investment, die mehr als 4 Millionen Siemens-Aktien vertritt. "Bei einer sorgfältigen Prüfung aller Umwelt- und Reputationsrisiken hätte Siemens diesen Auftrag niemals unterzeichnen dürfen."

Auch Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz DSW bemängelte das Handling des Vertrages und lastete dies auch der Kommunikation des Siemens-Chefs an. "Sie haben gepatzt", sagte sie an die Adresse von Joe Kaeser. "Leider, und das auch noch völlig unnötig." Ein Grund für ein Misstrauensvotum sei das jedoch nicht. Kaeser und sein Vorstandsteam hätten vieles richtig gemacht. Künftig müssten "alle Prozesse und Verträge dahingehend überprüft werden, ob sie mit Ihrem Nachhaltigkeitsziel übereinstimmen", forderte sie.

Siemens brauche eine "eindeutige Definition, welche Produkte und Dienstleistungen unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten angeboten werden können", sagte Winfried Mathes von der Fondsgesellschaft Deka Investments, Stimmrechtsvertreter für 8,9 Millionen Siemens-Aktien.

Fondsmanagerin Diehl kritisierte Kaeser für ein vergleichsweise schwaches Abschneiden der Aktie. Der Plan, über Aufspaltung von Siemens mehr Wert für die Aktionäre zu erzielen, sei zwar richtig, sagte Diehl. "Eine nachhaltige Verbesserung in den Ergebnissen können wir nicht erkennen - und damit auch keinen zusätzlichen Wert für die Aktionäre."

Nötig sei eine saubere Entflechtung von Mutterkonzern und Konzerntöchtern. Noch könne München durchregieren, die Sparten seien nach wie vor aneinander gekettet. "Die Töchter dürfen zwar in eigene Wohnungen ziehen, aber die Mutter behält die Schlüssel", so Diehl. "Warum gibt Siemens den einzelnen Sparten nicht mehr unternehmerische Freiheit, indem man die Kontrollmehrheit oder sogar die Sperrminorität aufgibt?"

Die geplante Koppelung des Vergütungssystems für Siemens-Vorstände an Nachhaltigkeitskriterien wurde von mehreren Vertretern begrüßt. "Vorstände müssen unterdurchschnittliche Leistungen oder Fehlentscheidungen auch im eigenen Geldbeutel merken", sagte Diehl.
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