Wenn Risiken Realität werden

Supply Chain Risk Management in der Praxis


Wenn Risiken Realität werden: Supply Chain Risk Management in der Praxis News

Viele Unternehmen haben uns in den vergangenen Jahren Beispiele für ein nicht adäquates und damit wenig effektives Risikomanagement im Bereich der Wertschöpfungsnetze geliefert. So war Toyota über viele Jahre der "Musterknabe" für ein exzellentes Supply Chain Management. Nach dem großen Tōhoku-Erdbeben im Jahre 2011 benötigte Toyota sechs Monate, um die Produktion wieder auf das ursprüngliche Niveau zu bringen. Dies war nur durch einen enormen Aufwand möglich. Ein primärer Grund für die Produktionsausfälle war das Single-Sourcing einer Microcontroller-Einheit des 1-Tier-Lieferanten Denso vom Vorlieferanten Renesas Electronics Corp (vgl. Park et al. 2013, S.77).

Renesas Electronics ist der Zusammenschluss der ausgegliederten Halbleiterbereiche von Hitachi, Mitsubishi Electric und NEC. Renesas produziert Mikrocontroller unter anderem für Toyota. Im Zeitraum des Tōhoku-Erdbebens basierte die Supply Chain auf einem Just-in-time-Mechanismus mit einem zeitlichen Puffer von sechs Minuten (vgl. Harrington 2013, S. 2). Renesas produzierte die Computerchips für Toyota in einer Produktionsstätte in Japan, die in der Folge des Tsunamis zerstört wurde. Dies hatte zur Konsequenz, dass Toyota die Produktion in allen Werken weltweit reduzieren beziehungsweise einstellen musste.

Der US-Wettbewerber General Motors (GM) hatte exakt die gleiche Exponierung, allerdings mit einem wichtigen Unterschied. GM hatte präventiv eine Redundanz in der Supply Chain berücksichtigt und verfügte über einen zweiten Lieferanten, der die Lücke von Renesas schließen konnte.

Das Ergebnis: Der Vorstandsvorsitzende von GM konnte im dritten und vierten Quartal 2011 berichten, dass die Katastrophe in Japan keinerlei Einfluss auf die wirtschaftlichen Ergebnisse hat. Toyota hingegen verzeichnete im Zeitraum März 2011 bis März 2012 einen Verlust von 3,5 Milliarden US-Dollar (vgl. Abbildung). Im Monat nach der Katastrophe ging im April 2011 die weltweite Produktion von Toyota um 48,1 Prozent zurück, während der Produktionsrückgang in Japan selbst mit 74,5 Prozent angegeben wird.

Abbildung: Finanzieller Schaden der sieben größten japanischen Automobilhersteller (11. März 2011 bis 31. März 2012) (Quelle: U.S. Department of Energy, April 16, 2012)

Abbildung: Finanzieller Schaden der sieben größten japanischen Automobilhersteller (11. März 2011 bis 31. März 2012) (Quelle: U.S. Department of Energy, April 16, 2012)

Diese beinahe klassischen Beispiele zeigen exemplarisch die Bedeutung eines proaktiven und professionellen Risikomanagements in der Logistik. Durch das vorausschauende Identifizieren von Risiken in der Lieferkette war General Motors in der Lage, Alternativpläne aufzustellen. Die Auswirkungen des Brandes beziehungsweise der Betriebsunterbrechung konnten damit deutlich eingeschränkt werden.

Risiken in der Logistik können auch hausgemacht sein: So führte beispielsweise der Wechsel auf ein neues Software-System in der Logistik zu erheblichen Problemen in der Ersatzteil-Logistikkette bei BMW. Aufgrund der technischen Schwierigkeiten ergaben sich für rund 300 Werkstätten in Deutschland Lieferverzögerungen von mehreren Wochen, da rund zehn Prozent der Ersatzteile im Zentrallager Dingolfing nicht zur Verfügung standen. Weil auch die Bestelleingänge der 40 internationalen Distributionszentren in Dingolfing zusammenlaufen, konnten auch Ersatzteillieferungen ins Ausland, beispielsweise in die USA oder nach China, nur mit Verzögerungen durchgeführt werden. BMW versuchte, durch Sonderschichten die Konsequenzen der Lieferprobleme zu reduzieren; dies gelang jedoch nur teilweise (vgl. Kiewitt 2013).

Die Beispiele verdeutlichen, welche Risiken in der Logistik schlummern und welche Konsequenzen drohen, wenn unerwünschte Ereignisse eintreten. Die Beispiele zeigen aber auch, in welchem Maße ein angewandtes und präventives Risikomanagement dazu beitragen kann, die Auswirkungen realisierter Risiken abzufedern. Einem strukturierten und effektiven Risikomanagement in der Logistik kommt damit eine erhebliche Bedeutung zu, logistische Ketten stabil und resistent zu halten.

Trotz der Bedeutung des Risikomanagements in der Logistik ist der Umsetzungs- und Anwendungsgrad noch relativ gering. So wendet beispielsweise nur gut die Hälfte der Logistikdienstleister Risikomanagement aktiv an (Huth und Lohre 2014). Auch in der aktuellen "Third-Party Logistics Study" wird die Anwendung von Risikomanagement-Methoden und -Instrumenten äußerst kritisch gesehen: "Companies lack a tactical approach to identifying the biggest risks across their supply networks, as well as processes for actively mitigating and monitoring these risks" (Langley 2012, S. 24).

Laut dem Supply Chain Resilience Report 2012 waren über 70 Prozent der befragten Unternehmen von mindestens einer Störung in der Supply Chain betroffen. Der Haupteffekt von Störungen in Lieferketten war eine verminderte Produktivität (60 Prozent). Bei 20 Prozent der Unternehmen überstiegen die Kosten der Störung eine Mio. EUR. Erstaunlich ist in diesem Kontext, dass die Mehrzahl der Unternehmen erst mit der Einführung eines präventiven Supply Chain Risk Managements begonnen hat. Auf der anderen Seite verfügen 25 Prozent der Unternehmen über keinerlei Prozesse oder Methoden zum Management von Risiken in der Logistik.

Zusammenfassend können wir festhalten: Auf der einen Seite werden Logistiknetze und logistische Prozessketten länger und gleichzeitig komplexer. Parallel dazu nehmen die Anforderungen an logistische Leistungen hinsichtlich Kosten, Zeit und Qualität zu. Diese Ansprüche an höhere Effizienzniveaus führen zu "schlankeren" Logistikketten, indem jede mögliche Verschwendung, beispielsweise aufgrund von Redundanzen wie Zwischenlager, vermieden wird. Beide Tendenzen führen dazu, dass Logistikketten anfälliger für potenzielle Störungen sind. Mit anderen Worten: Die Risiken, die mit der Erbringung logistischer Leistungen verbunden sind, nehmen zu.

Auf der anderen Seite wird deutlich, dass zwar rechtliche Rahmenbedingungen zum Aufbau und zur Anwendung eines Risikomanagements geschaffen wurden. Diese gesetzlichen Anforderungen werden auch weitgehend erfüllt. Oftmals allerdings wird Risikomanagement allein aufgrund derartiger extrinsischer Anreize betrieben. Das Ergebnis ist dann nicht selten eine "rückspiegelorientierte" Risikobuchhaltung ohne jeglichen ökonomischen Mehrwert. Risikomanagement ist dann eher vergleichbar mit einem "potemkinschen Dorf", benannt nach dem Feldmarschall Reichsfürst Grigori Alexandrowitsch Potjomkin. Oberflächlich wirkt das Risikomanagement fundiert und beeindruckend (siehe externer Risikobericht), es fehlt aber jegliche Substanz hinsichtlich Methodik oder auch gelebter Risikokultur.

Intensiv-Seminar der RiskAcademy

Supply Chain Risk Management (SCRM)

11. bis 12.11.2015, KTC Königstein/Taunus

Schwerpunkte

  • Beispiele aus der Praxis für "Best Practice" im Supply Chain Risk Management sowie "Lessons learned"
  • Treiber des Supply Chain Risk Managements
  • Besonderheiten des SCRM, konzeptionelle Ansätze und Gestaltungsfelder
  • Risikoidentifikation, -bewertung und -steuerung im Bereich SCRM
  • Werkzeuge und Methoden im SCRM: Brainstorming, Delphi-Methode, Ursache-Wirkungs-Diagramm, Stress-Testing, Engpassanalyse, Kritischer-Pfad-Methode, Beanspruchungs-Belastungs-Portfolio, Prozessdarstellung, Prozess-Kontroll-Chart, Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA), Fehlerbaumanalyse (FTA), Ereignisbaumanalyse (ETA), Entscheidungsbaumanalyse, Sensitivitätsanalyse, Szenario-Analyse, Netzwerkmodelle, Simulationsmodelle, Business Interruption Value (BIV) etc.
  • Szenarioorientierte Ansätze im SCRM
  • Notfall- und Krisenmanagement in der Supply Chain
  • Fallbeispiele: Anwendung der Risikosteuerung
  • Verankerung des SCRM in der Organisation und Toolunterstützung

Weitere Informationen

Quellenverzeichnis sowie weiterführende Literaturhinweise:

[ Source of cover photo: © mark.f - Fotolia.com ]
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