Währungspolitik sollte Krisenmodus verlassen

Zurück zur "alten Normalität"


Zurück zur "alten Normalität": Währungspolitik sollte Krisenmodus verlassen Comment

Vor Kurzem las ich die neue Prognose der amerikanischen Investmentbank Morgan Stanley über die weitere wirtschaftliche Entwicklung der Welt. Der Chefstratege der Bank, Joachim Fels, hat sie unter den Titel gestellt "Langweilig, aber besser" (Boring but better). Wer wollte sich darüber nicht freuen? Das Wachstum der Industrieländer stabilisiert sich. Die Deflationsbefürchtungen werden geringer, ohne dass es zu einer neuen Inflation kommt. Die Zinsen bleiben niedrig. Da kann sich zumindest der Aktienanleger getrost zurücklehnen. So gut war es schon lange nicht mehr. 

Trotzdem plagt viele ein Bauchgrimmen. Ist die Welt wirklich so gut? Gemessen an den üblichen Zahlen sicher. Sie zeigen aber nur die Hälfte der Realität. Vor allem ist aus ihnen nicht ersichtlich, dass sich derzeit in der Welt ein neues Ungleichgewicht aufbaut. Es besteht darin: Realwirtschaft und Finanzmärkte haben den Krisenmodus verlassen, die Wirtschaftspolitik, vor allem die Währungspolitik jedoch noch nicht. Sie ist nach wie vor ultralocker. Das passt auf Dauer nicht zusammen. Da droht neues Ungemach. 

Die ultralockere Geldpolitik und die hohen Staatsschulden waren richtig und notwendig, um die große Finanz- und Wirtschaftskrise zu bekämpfen. Sie haben das Schlimmste verhindert. Es kam – anders als in der Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren – nicht zu größeren politischen Verwerfungen. Dafür sollten wir dankbar sein.

Aber das ist jetzt Vergangenheit. Nach historischen Erfahrungen dauern solche Anpassungsprozesse bei Krisen des damaligen Ausmaßes rund vier bis fünf Jahre. Diese Zeit ist abgelaufen. Die Volkswirtschaften wachsen wieder. Strukturelle Verzerrungen vor allem an den Häusermärkten sind überwunden. Unternehmen sind wieder wettbewerbsfähiger. Banken haben Übertreibungen zurückgeführt und ihr Eigenkapital gestärkt. 

Natürlich verläuft der Prozess regional unterschiedlich. Am weitesten fortgeschritten sind die Vereinigten Staaten und Großbritannien. Kontinentaleuropa tut sich noch schwer. Die Krise ist hier noch nicht überwunden. Die Währungsunion ist jedoch auf dem richtigen Weg. Japan hat gerade erst angefangen, Deflation und Rezession zu verlassen. 

Das ändert jedoch nichts an der grundsätzlichen Diagnose. Wir dürfen nicht glauben, dass jetzt wieder alles in Ordnung sei. Vielmehr müssen nun die Rahmenbedingungen, die zur Überwindung der Krise geführt haben, wieder auf "Normal" gestellt werden. Die Zinsen müssen wieder angehoben werden. Normal wäre, wenn sie sich in etwa auf der Höhe von Wachstum und Preissteigerung bewegen, also im Euroraum bei gut 2 Prozent, in den USA eher bei 4 Prozent. 

Zu viel Liquidität: Basisgeld in % GDP, USA [Quelle: Fed]
Zu viel Liquidität: Basisgeld in % GDP, USA [Quelle: Fed]

Die Liquidität muss wieder zurückgeführt werden. Die Grafik zeigt die Entwicklung der Basisgeldmenge im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt in den USA in den letzten 50 Jahren. Die Relation könnte man die "volkswirtschaftliche Kassenhaltung" bezeichnen. Sie gehört zu den langfristigen Strukturkonstanten und lag in den letzten Jahrzehnten in den USA immer zwischen 5 Prozent und 10 Prozent. 2008 ist sie im Zuge der Krisenbekämpfung auf über 20 Prozent hochgeschnellt. Jetzt muss sie zurückkommen werden (gestrichelte Linie). Ähnliches gilt für andere Bereiche der Politik, wie etwa die viel zu hohen Staatsschulden. 

Natürlich muss und wird nicht alles wieder wie früher sein. Wir leben in einer anderen Zeit. Die Zinsen werden in Zukunft vermutlich niedriger sein. Die Finanzminister brauchen dies, um die Staatsschulden nicht zu groß werden zu lassen. Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass die heutigen Gesellschaften der Zukunft in ihren Überlegungen nicht mehr eine so große Bedeutung zumessen. Die Liquidität kann wegen anderer Zahlungsmodalitäten vielleicht auch etwas höher sein. Vielleicht werden wir auch mit strukturell höheren Staatsschulden leben und unsere Vorstellungen von der langfristigen Tragfähigkeit von Schulden anpassen müssen. 

Unbestreitbar ist jedoch, dass der gesamte wirtschafts- und währungspolitische Rahmen der Marktwirtschaft so nicht bleiben kann. In der Geldpolitik beginnen die USA und Großbritannien schon damit, erste Maßnahmen zur Verringerung der Liquidität und zur Erhöhung der Zinsen ins Kalkül zu ziehen. Bei der Staatsverschuldung geht es noch etwas langsamer. Das, was derzeit an Fortschritten in einigen Ländern erzielt wurde (unter anderem in Deutschland), beruht zum großen Teil auf Verbesserungen der Konjunktur. 

Die Veränderungen, die hier anstehen, sind riesig. Sie sind so groß wie 2008/2009, nur eben mit umgekehrtem Vorzeichen. Sie werden alle Bereiche der realen und monetären Aktivität erfassen. Ob sie sich reibungslos vollziehen, kann heute niemand sagen. Es gibt keine Beispiele aus der Vergangenheit, auf die man zurückgreifen kann. Nach der großen Weltwirtschaftskrise kam es zu großen politischen und militärischen Verwerfungen bis hin zum Zweiten Weltkrieg. So etwas wird sich hoffentlich nicht wiederholen. Kleinere Krisen in der Nachkriegszeit wurden teils relativ reibungslos überwunden, teils führten sie zu erheblichen Friktionen. Sehr viel hängt davon ab, wie geschickt und vorsichtig die Zentralbanken vorgehen und wie viel Zeit sie haben, beziehungsweise sie sich für die Anpassung nehmen.

 

Autor: 

Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A. 

 


[Bildquelle: © Tom Wang - Fotolia.com]

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